Seit nunmehr einem Jahr hält die Coronakrise die Schweiz in Atem. Einsamkeit und finanzielle Existenzängste dominieren den Alltag von zahlreichen Menschen. Die Stiftung Sucht Schweiz warnt nun: Viele Menschen greifen in diesen unsicheren Zeiten zu Suchtmitteln.
Besonders gefährdet seien Menschen aus dem Gesundheitswesen, dem Gastgewerbe oder dem Verkauf. «Diese Menschen sind Stress und Ängsten ausgesetzt», sagt Markus Meury von Sucht Schweiz. Und weil sie täglich unter Anspannung stehen, greifen sie öfters zu Zigaretten, Alkohol oder Medikamenten.
Der Weg aus der Sucht ist schwierig
Diese Entwicklung macht Markus Meury Sorgen: «Wenn man Ängste und Sorgen mit Suchtmitteln weitertreibt, dann wird man das Verhalten nicht vom einen auf den anderen Tag wieder los, sondern es sind Muster, die man weiterpflegt.»
Menschen mit einer Suchtproblematik müssten andere Wege zur Entspannung finden, sagt Meury. Zum Beispiel durch Sport, Erlebnisse in der Natur oder mit Entspannungstechniken. Wenn jemand merkt, dass er den Konsum gar nicht mehr unter Kontrolle hat, dann sollte er sich professionelle Hilfe suchen, so Meury. Alleine sei der Weg kaum zu gehen. «Sucht ist keine Schwäche, sondern eine Krankheit.» Deshalb müsse man offen darüber reden.
Alkohol als Belohnungsstrategie
Auch Sabin Bührer von der Suchtfachstelle in Zürich stellt diese Entwicklung fest – mit Besorgnis: «Da viele aktuell ein erhöhtes Stresslevel haben, sind mehr Menschen gefährdet, eine Abhängigkeit oder einen problematischen Konsum zu entwickeln.»
Immer häufiger würden sich Menschen bei der Suchtfachstelle melden, die mit Depressionen zu kämpfen hätten. «Unsere Warteliste für Erstgespräche hat eine Länge angenommen, die wir uns nicht gewohnt sind», sagt Bührer. Eine mögliche Auswirkung der Coronakrise.
Stress und Unsicherheit im Job sind ein Grund, warum immer mehr Menschen zu Alkohol, Zigaretten oder anderen Substanzen greifen. Bührer macht jedoch noch eine weitere Beobachtung. Suchtmittel hätten gerade in Zeiten von Homeoffice eine Art Belohnungscharakter bekommen. «Viele sagen sich, ich gönne mir noch ein Gläschen, weil der Tag so mühsam war», so Bührer.
Suchtfachstellen rüsten auf
Dass mit dem Ende der Pandemie auch das Ende der Suchtgefahr bei Pflegerinnen, Gastronomen oder einsamen Menschen einhergeht, dürfte wohl ein Irrglauben sein. «Wir gehen davon aus, dass viele Nachwehen sich erst zeigen, wenn es vorbei ist», sagt Bührer. Eine Dunkelziffer gäbe es nämlich immer. Aber sie hofft auch, dass vielleicht viele Menschen die Chance gepackt haben, während der Pandemie ihre Suchtproblematik erfolgreich zu bekämpfen.
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Die Suchtfachstelle Zürich hat auf alle Fälle Massnahmen getroffen, um auch während der Coronakrise Beratungen anbieten zu können. «Die Abstandsregelung war für uns Betreuungs-Team eine grosse Herausforderung», sagt Bührer. «Weil auch wir den direkten Kontakt vermeiden sollten, mussten wir digital aufrüsten». Aber man sei bereit.