Oberhalb von Gstaad, auf 1800 Metern über Meer, weiden Simmentaler Kühe. Geht es nach den Initianten des Projekts «SolSarine» werden sie das auch weiterhin machen. Künftig allerdings zwischen hohen Stahlkonstruktionen, auf denen Solarmodule montiert sind. «Die Fläche unter den Solaranlagen kann weiter bewirtschaftet werden», erklärt Matthias In-Albon, Mitinitiant der alpinen Solaranlage «SolSarine».
Zwar stehen erst zwei Pilotanlagen, doch in den kommenden Jahren sollen Hunderte Meter Stahlkonstruktionen mit Tausenden von Solarmodulen installiert werden und dereinst fast den gesamten Strombedarf der Region Gstaad decken. Bereits in den kommenden Wochen wollen die Initianten beim Kanton Bern das Baugesuch einreichen.
Ähnliche Anlagen werden aktuell im ganzen Alpenraum geplant. Und laufend kommen neue Projekte hinzu.
All diese Projekte sind Teil des Solarexpresses, den das Parlament im Herbst 2022 – vor dem Hintergrund der Energiekrise – beschlossen hat. Das Ziel: Die Schweiz soll künftig im Winter mehr Strom produzieren und so ihre Abhängigkeit vom Ausland reduzieren. Als «schnelle» Lösung entschied sich das Parlament für grossflächige Solaranlagen in den Alpen. Deshalb profitieren solche Projekte von beschleunigten Bewilligungsverfahren und werden mit grosszügigen Fördergeldern unterstützt. Allerdings müssen sie bereits ab 2025 mindestens 10 Prozent der erwarteten Kapazität oder 10 GWh Strom ins Netz einspeisen.
Der Solarexpress – ein Innovationstreiber
Die Schweiz betritt mit diesen Solaranlagen gleich mehrfach Neuland: Juristisch, finanziell und vor allem auch technisch. Da Erfahrungswerte und standardisierte Produkte für hochalpine Anlagen auch im Ausland fehlen, entwickeln alle Projekte eigenen Lösungen.
Zentral ist, dass die Anlagen im Winter möglichst viel Strom produzieren. Im Fall von «SolSarine» sagt Matthias In-Albon: «Wir haben eine sehr hohe Winterstromproduktion mit einem Anteil von 45 Prozent im Winter.» Auch die anderen alpinen Anlagen rechnen mit 40 bis 50 Prozent Winterstromanteil. Viel Sonne, Schnee, der das Sonnenlicht zusätzlich reflektiert, und kaum Nebel ergeben einen hohen Ertrag.
Solaranlagen im Mittelland hingegen produzieren im Winter deutlich weniger Strom: je nach Standort zwischen 10 und 35 Prozent der Jahresproduktion. Tief ist der Winterstromanteil beispielsweise entlang des Jurasüdfusses mit vielen Nebeltagen. Höher ist die Ausbeute in Gebieten mit wenig Nebel, wie etwa in den Alpentälern.
Wertvoller Winterstrom
Da Erfahrungswerte fehlen, lässt sich bislang nur abschätzen, wie teuer die geplanten Anlagen tatsächlich werden. «SolSarine» schätzt die Kosten auf 100 bis 150 Millionen Franken. Jene Projekte, die bislang am konkretesten ausgearbeitet sind, rechnen mit zwei bis vier Millionen Franken pro installiertem Megawatt. Das ist deutlich mehr als eine vergleichbare Solaranlage im Mittelland: Da kostet dieselbe Leistung inzwischen weniger als eine Million Franken pro Megawatt. Aufgrund der erwarteten hohen Kosten hat das Parlament beschlossen, dass die Anlagen durch den Netzzuschlagfonds finanziell unterstützt werden. Er übernimmt bis zu 60 Prozent der ungedeckten Investitionskosten.
Der Bund geht davon aus, dass die Förderung der alpinen Anlagen maximal 3 bis 3.5 Milliarden Franken kosten wird. Bereitgestellt werden die Gelder vom Netzzuschlagfonds, der aktuell mit 2.6 Milliarden Franken dotiert ist und der schon bisher die Solaranlagen im Mittelland fördert. Gespiesen wird der Fonds durch den Netzzuschlag auf den Stromtarifen.
Gerechtfertigte Kosten?
Allerdings ist ganz grundsätzlich umstritten, ob die Anlagen in den Alpen das viele Geld wert sind. Die Initianten von alpinen Anlagen rechtfertigen die vergleichsweise hohen Kosten mit dem grossen Anteil Winterstrom, den sie zur Versorgung beisteuern können. Leo-Philipp Heiniger, zuständiger Experte beim Bundesamt für Energie, verweist darauf, dass es ein politischer Entscheid gewesen sei: «Es ist das Parlament, das entschieden hat, dass diese Anlange von diesen grosszügigen Förderungen profitieren sollen.» Gleichzeitig betont Heiniger: «Wahrscheinlich stand die effektive Wirtschaftlichkeit nicht an erster Stelle.» Genau diesen Umstand kritisiert die Eidgenössische Finanzkontrolle. «Effektivität, Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit (…) zugunsten der Photovoltaik-Grossanlagen in den Alpen sind (…) nicht genügend sichergestellt», schreibt das oberste Finanzaufsichtsorgan des Bundes in seinem jüngsten Bericht.
Der Solarexpress rollt im Mittelland
Bereits ab 2025 sollen die alpinen Anlagen Strom liefern, so das Ziel des Solarexpresses. Jedoch zeichnet sich bereits jetzt ab, dass bis dahin nur eine bescheidene Menge Strom fliessen wird. Ausgehend von den Bauplänen der aussichtsreichsten Projekte, dürften bis Ende 2025 30 bis maximal 150 MW installiert sein. Damit würde soviel Strom produziert, wie etwa 10'000 bis 50'000 Haushalte verbrauchen. Zum Vergleich: Im Mittelland werden gemäss der Förderagentur Pronovo aktuell fast 100 MW installiert – pro Monat.
Der Zubau in den Alpen hängt im Wesentlich davon ab, welche Projekte überhaupt in Angriff genommen und wie schnell die Baubewilligungen erteilt werden. Zudem ist im hochalpinen Gelände das Zeitfenster fürs Bauen klein: Die Anlagen können nur in den schneefreien Sommermonaten installiert werden. Bis die jeweiligen Anlagen dann komplett errichtet und in Betrieb sind, dauert es weitere drei bis fünf Jahre.
Alpine Solaranlagen polarisieren
Die alpinen Solaranlagen werden von ihren Initianten mit viel Engagement vorangetrieben. Und etliche Projekte wurden von den Gemeindeversammlungen auch schon gutgeheissen: In Gondo, Sedrun und Laax sehr deutlich. In Samedan und vor allem in Poschiavo war das Abstimmungsresultat knapper. Diese Beispiele zeigen, dass diese Anlagen nicht nur auf Gegenliebe stossen. In Gstaad und anderen Gemeinden stehen die Gemeindeversammlungen erst noch bevor.
Kritisch betrachten die Naturschutz- und Umweltorganisationen die Vorhaben. Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, hat grundsätzliche Bedenken: «Diese Anlagen machen Angst. Es geht darum, welche unerschlossenen Gebiete wir auf lange Sicht überhaupt noch erhalten können. Und diese Gebiete sind jetzt gefährdet.» Ähnlich sieht es Sebastian Moos von der Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness: «Diese Solaranlagen würden unsere letzten Naturräume tangieren oder gar zerstören.»
«Das Dilemma der Naturschutzorganisationen»
Gleichzeitig sind die Organisationen in einem Dilemma. Jahrelang haben sie sich für Solaranlagen starkgemacht. Eine Fundamentalopposition gegen ebensolche Anlagen ist folglich nur schwer vermittelbar. Deshalb sind beide Organisationen nicht kategorisch gegen neue Anlagen. Gewisse Vorhaben sind für Raimund Rodewald denkbar: «Das Projekt beim Flugplatz Samedan – mit gewissen Einschränkungen – oder Vorhaben in Skigebieten sind möglicherweise schon geeignet.» Und auch Sebastian Moos sagt: «Bei Anlagen in erschlossenen Gebieten sind wir grundsätzlich offen für Diskussionen.» Allerdings komme es stets auf den Einzelfall an, wie die beiden Kritiker betonen.
Gleichzeitig wissen die Organisationen um die Macht einer Einsprache: Da sämtliche Initianten unter grossem Zeitdruck stehen, würde eine Einsprache in den meisten Fällen das Ende eines Projekts bedeuten. Entsprechend haben sie es – bis zu einem gewissen Grad – selbst in der Hand, ihr Vorhaben möglichst umwelt- und naturverträglich auszugestalten.