Eingebettet im hügeligen Gebiet zwischen Zuger- und Zürichsee liegt der Ägerisee. Hier hat ein jahrhundertealter Brauch überlebt, der im Rest von Mitteleuropa verschwunden ist: das Flössen.
Wenn alle drei bis vier Jahre Holz aus dem Bergwald oberhalb des Sees geerntet wird, wird dieses auf dem Wasserweg abtransportiert. Die Stämme werden dabei zu einem über 150 Meter langen Floss zusammengebunden. Anfang März ist es wieder so weit.
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Bild 1 von 3. Das bisher grösste Floss auf dem Ägerisee wurde 2011 gebaut: Es war 175 Meter lang, 50 Meter breit und wog 1000 Tonnen. Bildquelle: Keystone/Urs Flüeler.
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Bild 2 von 3. Baumstämme anordnen: keine einfache Aufgabe auf dem glitschigen, sich drehenden Untergrund. Bildquelle: Keystone/Urs Flüeler.
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Bild 3 von 3. Am Reisttag vom 22. Februar 2025 wurden die gefällten Stämme vom Bergwald ins Wasser geleitet und dort zusammengebunden. Bildquelle: Keystone/Urs Flüeler.
Das aufwendige Prozedere beginnt schon vor der Überfahrt. Ab Januar fällt ein etwa zehnköpfiges Forstteam die Bäume. Gesucht ist primär Nadelholz, besonders alte Weisstannen. Diese treiben am besten auf dem Wasser. Die Arbeiter entfernen Äste und spitzen die Stämme zu.
Anschliessend lassen sie die Hölzer den steilen Waldhang hinunter in den Ägerisee gleiten – oder besser gesagt hinunterdonnern: Die schwersten Baumstämme wiegen über zehn Tonnen und erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 100 Kilometern pro Stunde. «Ich habe schon erlebt, dass so ein Stamm einen gleich dicken Baum umschlägt», erzählt der Förster Kari Henggeler.
Das Runtersausen der Baumstämme heisst im Fachjargon «Reisten». Der erfahrene Förster Henggeler erkennt dabei am Geräusch, welchen Weg der Stamm auf seinem Weg Richtung Wasser einschlägt. «Am Lärmpegel höre ich, was passiert: Haut er einen jungen oder alten Baum um oder zerfetzt es den Stamm selbst?»
Bleibt der Stamm hängen, bringen ihn die Arbeiter mit Spitzhacke, Winde und Seilzug wieder in Position. Im Idealfall platscht er auf direktem Weg in den See. «Dann hört man ein Rauschen, als ob ein Walfisch aus dem Wasser kommt.» Ein Glücksmoment für die Arbeiter, den sie mit einem herzhaften Juchzer feiern.
Im Wasser bauen die Forstwarte schliesslich einen grossen, dreieckigen Rahmen aus den Holzstämmen. Dieser wird mit Drahtseilen und Ketten zusammengebunden und mit dutzenden weiteren Hölzern gefüllt. Das bisher grösste Floss war 175 Meter lang, 50 Meter breit und 1000 Tonnen schwer. Um einen solchen Koloss aus Holz über den See zu schleppen, benötigt es zwei Motorschiffe.
Heute ist das Flössen auf dem Ägerisee ein grosses Publikumsspektakel, inklusive Festwirtschaft und Kommentator. Früher war es Alltag. Vom Mittelalter bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der begehrte Bau- und Energiestoff Holz gerne und günstig per Floss transportiert.
Vor allem auf Flüssen gelangte das Holz so einfach ans Ziel: mit dem Strom die Aare, den Rhein, die Rhone oder die Reuss hinunter. Ab dem 20. Jahrhundert löste der einfachere Transport via Eisenbahn das Flössen nach und nach ab. Auf dem Ägerisee blieb die Tradition erhalten.
Das vor allem mangels Alternativen: Eine befahrbare Strasse fehlt im steilen Bergwald und Helikopterflüge sind teuer. Auch wenn das Flössen heute keinen wirtschaftlichen Gewinn mehr bringt, das Waldstück verwildern lassen, sei keine Alternative, findet Förster Kari Henggeler: «Dieser Wald ist ein fantastischer Wald. Im Ägerital gibt es keine Parzelle, auf der mehr Holz wächst als hier.»
Um den Wald zu erhalten und das Brauchtum zu feiern, fahren dieses Jahr wieder dutzende Baumstämme über den Ägerisee.