Martha Müller* ist frustriert: Die Bewohnerin einer Altersresidenz der Zürcher Stiftung Atlas kann nicht mehr auf ihren täglichen Spaziergang. «Es gilt eine strenge Hausordnung, die uns selbst Spaziergänge verbietet.» Sie könne verstehen, dass die Verantwortlichen Bedenken hätten wegen des Coronavirus: «Aber ich halte mich an alle Regeln: Ich gehe alleine und treffe niemanden, ich wasche auch meine Hände gründlich, wenn ich zurück bin.»
Die Residenz verfüge zwar über einen kleinen Innenhof. «Aber da fühle ich mich wie im Gefängnis mit Hofgang.» Die rüstige 85-Jährige versteht nicht, weshalb sie das Gelände nicht mehr verlassen darf: «Nicht einmal der Bund verbietet Spaziergänge.»
«Zum Schutz unserer Bewohnenden»
Auf Anfrage heisst es bei der Stiftung Atlas, man habe sich mit der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich abgesprochen. «Dabei wurde uns diese Massnahme ausdrücklich empfohlen.» Es gehe um den «Schutz unserer Bewohnenden, welche allesamt als besonders gefährdete Personen gelten». Man versuche, das Risiko bestmöglich zu reduzieren.
Die Stiftung räumt ein, dass es täglich Ausnahmebewilligungen gebe. Dies aber nur für «dringliche Situationen» wie etwa Arzt- oder Spitalbesuche, die nicht aufgeschoben werden können.
Juristisch umstritten
Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist eine drastische Massnahme. Curaviva, der Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Unterstützungsbedarf, geht davon aus, dass eine solche Regelung rechtlich nicht durchgesetzt werden kann. «Für Mieterinnen und Mieter einer Altersresidenz sind die Bestimmungen der Kantone sowie die Empfehlungen des Bundesrats nicht wirklich anwendbar», teilt Curaviva auf Anfrage mit. Die Massnahme lasse sich allenfalls moralisch begründen – etwa mit der Vermeidung von Ansteckungen.
Ringen um Lösungen
Letztendlich müsste ein Gericht klären, ob die Atlas Stiftung die Bewegungsfreiheit zu stark einschränkt für die Bewohnenden. Denn nebst den Alterswohnungen gehören zu ihren Residenzen auch kleine Pflegeabteilungen mit rund 20 Betten. Das Problem könnte sich allerdings schon bald lösen: Die Stiftung stellt in Aussicht, die strenge Anordnung «im Zuge der geplanten Lockerungen der Massnahmen des Bundes» zu überprüfen, um die Bewohnenden nicht länger als notwendig einzuschränken.
Auch die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich stellt eine Lösung in Aussicht. Aktuell werde intensiv über die weitere Handhabung diskutiert, sagt ein Sprecher. Es ist eine Lösung, die schweizweit gefunden werden muss, denn solange es keinen wirksamen Impfstoff gibt, bleiben insbesondere betagte Personen besonders gefährdet durch das Coronavirus.
Ewig einsperren kann man sie deswegen nicht, die gesundheitlichen Konsequenzen der kompletten Isolation sind nämlich ebenfalls gravierend: «Hier müssen wir sehr sorgsam abwägen zwischen dem Schutz vor dem Virus und den langfristigen sozialen oder psychischen Folgeschäden», sagte etwa Markus Leser von Curaviva im «Tagesgespräch» von Radio SRF.
*Name geändert