Die Zahl der Behandlungsfälle in der Physiotherapie nimmt zu. Auch bei Therapeutin Anja Weidmann in Zürich-Oerlikon. «Der Patient ist früher bei uns. Wir sind daran interessiert, dass er schnell wieder gesund wird. Deshalb bietet sich eine Physiotherapie an.»
Doch nicht nur Ärzte verschreiben mehr physiotherapeutische Massnahme, auch die Patienten fragen mehr Übungen und Massagen gegen Schmerzen nach: Weidmann führe eine Warteliste. «Es gibt Patienten, die am liebsten gestern in die Therapie kommen würden», sagt die Physiotherapeutin.
Dies hat zur Folge, dass der Bereich Physiotherapie immer mehr kostet im Schweizer Gesundheitssystem.
Kosten in elf Jahren verdoppelt
Von 2010 bis 2017 sind die Ausgaben für Physiotherapie in der Schweiz von 594 Millionen auf eine Milliarde Franken angestiegen. In den nächsten zwei Jahren gehe es mit einem Wachstum von jeweils rund sechs Prozent weiter, prognostiziert der Krankenkassenverband santésuisse. Dies entspräche einer Zunahme von 95 Prozent in elf Jahren.
Santésuisse ist alarmiert ob dieser Entwicklung. «Wenn man die Prämien in den Griff kriegen will, dann muss man dort eingreifen, wo die Kosten überdurchschnittlich wachsen», sagt Verena Nold.
Die Direktorin des Krankenkassenverbands sieht im Physiotherapie-Bereich Handlungsbedarf. Man müsse unnötige Behandlungen verhindern, so dass mehr Geld für notwendige und sinnvolle Behandlungen zur Verfügung stehe.
«Ambulant vor stationär»
Mirjam Stauffer, Präsidentin des Verbands Physioswiss, bestätigt den Trend, bestreitet aber, dass die Physiotherapie ein Kostentreiber ist. Die Mengenausweitung sei politisch gewollt. «Durch die Regelung «ambulant vor stationär», den das Bundesamt für Gesundheit lanciert hat, werden Patienten nach Eingriffen früher entlassen.»
Diese Patienten bräuchten zu Hause Unterstützung, um den Alltag zu bewältigen. Die Physiotherapie leiste einen wichtigen Beitrag, um dies zu ermöglichen, sagt Stauffer.
Einen Teil des Kostenanstiegs im Bereich der Physiotherapie sei tatsächlich auf den Umstieg von stationär auf ambulant zurückzuführen, sagt Felix Schneuwly, Gesundheitsexperte von Comparis. «Die Leute gehen früher aus dem Spital, aber brauchen nach wie vor ambulante Leistungen.» Dabei handle es sich nicht nur Physiotherapie, sondern auch um Leistungen der Spitex oder dem Hausarzt.
Die obligatorische Krankenversicherung deckt ambulante Leistungen zu 100 Prozent, während bei stationären Behandlungen der Kanton 55 Prozent der Kosten übernimmt.
Leute sind vorsichtiger geworden
Doch gibt es weitere Gründe, welche die ambulanten Behandlungen ansteigen lassen? «Ja», sagt Felix Schneuwly. «Die Leute sind vorsichtiger, was überstürzte Operationen betrifft.» Bei Rückenschmerzen habe man früher relativ schnell operiert. Heute sei man vorsichtiger.
Eine Operation sei immer auch mit Risiken verbunden. Deshalb versuche man zuerst das Leiden konservativ zu behandeln. Die erste Wahl ist dabei meist die Physiotherapie.