Alain Berset – auf der internationalen Bühne bekannt
Der Schweizer Kandidat war zwölf Jahre Bundesrat und zweimal Bundespräsident. Er ist dadurch zwar nicht speziell beim Europarat, aber auf der internationalen Bühne bekannt und verfügt über direkte Kontakte zu Staats- und Regierungschefs. Das ist nicht unwichtig, soll doch der neue Generalsekretär der traditionsreichen Strassburger Organisation wieder zu mehr öffentlicher Präsenz und mehr politischem Gewicht verhelfen.
Berset gilt ausserdem als energischer und eloquenter Chef. Ihm wird zugetraut, den Europarat mit seinen gut 2200 Angestellten zu führen. Für den Freiburger spricht ausserdem, dass er aus einem Nicht-EU-Land kommt, anders als die aktuelle Amtsinhaberin aus Kroatien. Eine ungeschriebene Regel sieht vor, dass sich an der Spitze in Strassburg Generalsekretäre aus EU- und Nicht-EU-Ländern ablösen. Dazu kommt, dass noch keine Schweizerin, kein Schweizer je den Spitzenposten in Strassburg innehatte. Berset hat mit bald 52 Jahren das richtige Alter, um einen Neuanfang zu verkörpern. Seine Wahlchancen in der Endrunde gelten als gut.
Indrek Saar – der geschätzte Abgeordnete
Der Sozialdemokrat aus Estland amtierte vier Jahre lang als Kulturminister seines Landes. Er ist ausgebildeter Schauspieler und war Theaterdirektor. Im Vergleich zu seinen Gegenkandidaten ist sein politischer Rucksack klar der kleinste. Gewichtiger für seine Wahlchancen ist jedoch, dass er viele Jahre lang Abgeordneter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates war. Dort kennt man ihn also; viele schätzen ihn. Und dieses Gremium wählt im Juni den neuen Generalsekretär.
Viele könnten geneigt sein, einen aus ihren Reihen zum neuen Chef zu küren. Entsprechend gelten seine Wahlchancen als reell. Er selber engagiert sich stark im Wahlkampf und betont, er kenne die Strassburger Organisation aus eigener Erfahrung bestens. Sozusagen als Vorleistung lernt er schon mal Französisch. Saar ist fast gleich alt wie Alain Berset. Der Este Indrek Saar ist also genauso wenig wie Berset ein Politiker, der in Strassburg bloss einen Vorruhestandsposten anstrebt.
Didier Reynders – ein politisches Schwergewicht
Der frankophone Belgier ist ein auf der europäischen Bühne bestens vertrautes Gesicht. Er war mehrfach belgisches Regierungsmitglied, etwa als Finanz- und Aussenminister. Derzeit amtiert er als EU-Justizkommissar. Das wird aus Sicht des Europarats nicht unbedingt als Vorteil interpretiert. Es gibt Stimmen in Strassburg, die unterstreichen, man möchte nicht einfach einen Spitzenpolitiker von der EU «erben», zumal zwischen den beiden grossen europäischen Organisationen ein gewisses Konkurrenzverhältnis herrscht.
Reynders hat schon vor fünf Jahren für den Chefposten beim Europarat kandidiert, unterlag damals aber der Kroatin Marija Pejcinovic Buric, der jetzigen Generalsekretärin. Kritisiert wird auch, dass Reynders sein EU-Amt bisher nicht abgegeben hat, obschon er nun für den Posten in Strassburg im Wahlkampf steht. Hingegen ist der Belgier zweifellos ein politisches Schwergewicht und ein Politiker mit grosser und breiter Erfahrung. Allerdings gilt er nicht unbedingt als Mann der Zukunft, da er beim Amtsantritt im Herbst bereits 66-jährig sein wird.