Der Rückgang der Gämse ist in der Schweiz deutlich feststellbar, erklärt Reinhard Schnidrig, Leiter der Sektion Wildtiere und Artenförderung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu).
«Man sieht das sehr gut an den Abschüssen», so Schnidrig. «Wir hatten um die Jahrtausendwende vielleicht 17'000 bis 19'000 Abschüsse, heute sind es noch 10'000 bis 11'000. Wir haben also starke Rückgänge. Bei den Beständen ist das schwierig einzuschätzen, weil sie schwierig zu zählen sind, da gibt es nur so grobe Hochrechnungen, aber bei den Abschüssen sieht man es sehr klar.»
Natürliche Ursachen – aber auch der Mensch spielt eine Rolle
Wildbiologin Christine Miller aus Bayern hat das Phänomen europaweit untersucht. Der Rückgang habe einerseits natürliche Ursachen wie etwa Krankheiten, Konkurrenz durch das Rotwild, Angriffe durch den Luchs. Andererseits spiele der Mensch eine Rolle, der immer öfter auf Schneeschuhen, Ski oder mit Gleitschirmen in das Revier der Gämse eindringe und die Tiere störe. «Und dann gibt es noch die Jagd, die hier zusätzlich verschärfend wirken kann, aber nicht muss.»
Die Schweiz sei bei der Jagdplanung viel weiter als Österreich oder Deutschland, vor allem weil das Monitoring viel weiter fortgeschritten sei. Aber: «Das Monitoring muss transparent sein. Es muss bei der Planung berücksichtigt werden und wir müssen unbedingt darauf achten, dass wir das mittlere Management des Gamswildes, vor allem die mittelalten Böcke schonen, und dazu müssen die Kantone schauen, welche geeigneten Massnahmen es dazu gibt.»
Wintersterblichkeit muss berücksichtigt werden
Die Böcke sind wichtig, da sie die Sozialbeziehungen stabilisieren, sie führen die Gruppe zu den verschiedenen Einständen und den Nahrungsplätzen. Deshalb haben laut Bafu vor allem grosse Kantone die Regeln wie etwa «Geiss vor Bock» eingeführt: Ein Jäger oder eine Jägerin muss zuerst eine Geiss schiessen, bevor er oder sie einen Bock erlegen darf.
Kleinere Kantone setzten eher auf lokale Wildruhezonen, sagt Reinhard Schnidrig. Ebenfalls wichtig sei es, die Wintersterblichkeit zu berücksichtigen. «In schneereichen Wintern lässt sich erst im Mai oder Juni feststellen, wie stark die Wintersterblichkeit war. Und darauf muss man bei der Jagdplanung Rücksicht nehmen, wenn wir keine Fehler begehen wollen.»
Nidwalden: Patent für Hochjagd ohne Gamsabschuss
Der Nidwaldner Fabian Bieri ist Präsident der Konferenz der Jagd- und Fischereiverwalter der Kantone. Die Frage des Gämsbestandes werde in der Jagdplanung immer bewusster einbezogen, sagt er.
In seinem Kanton sei es nicht mehr so, dass jeder Jäger oder jede Jägerin das Anrecht auf einen Gämsschuss habe. «Die Jäger tragen das im Kanton Nidwalden sehr gut mit. Wir haben neu ein Patent eingeführt für die Hochjagd ohne Gämsabschuss, sodass sie nur auf das Rotwild gehen und das wird rege genutzt von den Jägern des Kantons Nidwalden.» In den letzten zwei Jahren habe man damit in Nidwalden den Rückgang gebremst.
Bestände nehmen an manchen Orten zu
Hoffnungsschimmer sieht auch Reinhard Schnidrig vom Bafu: «Es gibt vielleicht nicht ganze Kantone aber doch einige Regionen, Talschaften, wo sich die Gämsen mittlerweile erholen – im Kanton Freiburg, im Freiburger Oberland beispielsweise. Die hatten sehr tiefe Bestände, haben dann mit der Jagdplanung eingegriffen und heute sehen wir, dass die Gämse sehr schön im Bestand zunimmt.»
Ebenso im Berner Oberland sowie in der Zentralschweiz gebe es einige abgelegene und ruhige Täler, in denen sich die Gämsen wieder ausbreiteten. Es ist also offenbar möglich, den Trend umzukehren. Ein Unsicherheitsfaktor bleiben aber die Gleitschirmflieger, Skitourenfahrerinnen und Schneeschuhwanderer die immer öfters in den Bergen unterwegs sind.