Der Schock sitzt bei Ralph Lewin auch eine Woche nach dem Angriff der Hamas auf Israel noch immer äusserst tief. «Was passiert ist, ist unvorstellbar», sagt der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Dabei meint er nicht nur die Brutalität der Hamas: Traumatisch sei auch, dass der Staat Israel die Jüdinnen und Juden nicht habe schützen können.
Das gehe weltweit bei den jüdischen Gemeinden «ganz, ganz tief», schliesslich sei es das grösste Massaker an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust, sagt Lewin.
Mit den Hamas kann man keinen Frieden schliessen, das ist mittlerweile allen klar.
Vor diesem Hintergrund kann er auch nachvollziehen, dass Israel nach einem solchen Angriff die Hamas «ausschalten» wolle. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die beiden Seiten nicht irgendwann aus dieser Logik der Gewalt ausbrechen müssen. Denn wenn Israel wie angekündigt die Hamas «zerstören» und den Gaza-Streifen erobern wolle, dürften tausende Menschen sterben.
«Die jetzige Spirale der Gewalt ist ausgegangen von einem beispiellosen Terrorangriff. Mit den Hamas kann man keinen Frieden schliessen, das ist mittlerweile allen klar», sagt Lewin. In der aktuellen Situation von Israel verlangen, es solle auf Deeskalation setzen, sei «politisch unmöglich».
Trotzdem sieht auch Lewin Grenzen für das israelische Vorgehen. Er könne nicht beurteilen, ob das Abriegeln des Gazastreifens durch Israel das humanitäre Völkerrecht verletze, aber auch Israel müsse sich daran halten und also auf die Zivilbevölkerung Rücksicht nehmen.
Ein «dornenvoller» Prozess
Und was ist mit dem grundsätzlichen Friedensprozess? «Ich träume von einer friedlichen Lösung, seit ich Student bin», betont der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes. Er weiss auch, dass die beiden Seiten wieder auch aufeinander zugehen müssen.
Als Voraussetzung dafür erwähnt er, dass es aufseiten der Palästinenserinnen und Palästinenser einen anderen Gesprächspartner brauche. Sollten von dort entsprechende Gesprächssignale kommen, sei er überzeugt, dass ein Teil der israelischen Bevölkerung das Gespräch wieder aufnehmen werde, allerdings sei das nach den jüngsten Ereignissen ein äusserst «dornenvoller» Prozess.
Allerdings bezweifeln auch viele, ob man mit der israelischen Regierung einen Frieden schliessen kann, schliesslich hat Israel seit Jahren die Siedlungen im Westjordanland massiv ausgebaut. «Israel hat bewiesen, dass es Frieden schliessen kann», sagt Lewin und erwähnt das Abkommen etwa mit Ägypten. Er hofft, dass es diese Friedensfähigkeit auch heute noch gibt in Israel.
Wir müssen nicht den Konflikt in die Schweiz übertragen.
Zur Situation in der Schweiz sagt Lewin, der SIG begrüsse, dass die Hamas nun als terroristische Organisation bezeichnet werde. «Wir finden es richtig, dass der Bundesrat nun sieht, dass man mit einer solchen Organisation nicht verhandeln kann», sagt Lewin. Der SIG macht sich aber Sorgen, dass die aktuelle Solidarisierung mit Israel und den Jüdinnen und Juden auch wieder umschlage und dann auch antisemitische Vorfälle zunähmen.
Der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes ruft denn auch zur Mässigung in der Schweiz und zum Dialog in der Schweiz auf: «Wir müssen nicht den Konflikt in die Schweiz übertragen, deshalb ist es für mich persönlich auch ganz wichtig, dass wir in einem guten Dialog stehen mit den muslimischen Kräften in der Schweiz», sagt Lewin.