«Die erste Stunde des Tages gehört mir», sagt Anna Fontcuberta i Morral und joggt los. Jeden Morgen tut sie das. Mindestens einmal pro Woche macht sie Yoga, in der Kaffeetasse landet nur Grüntee: «Das hält mich in der Balance.»
Seit Anna Fontcuberta i Morral ihre Stelle angetreten hat, weht ein rauer Wind durch die Forschungslandschaft. Die Budgetkürzungen von US-Präsident Donald Trump führten zu verrückten Situationen: «Das Wort Ungleichheit ist ein mathematischer Begriff. Wir brauchen es oft in der Physik. Nun werden aber Forschungsanträge, die das Wort Ungleichheit enthalten, einfach gestrichen», weiss sie von US-Bekannten. Diese stünden unter Schock.
Immer mehr Forschende wollen offenbar die USA verlassen: «Derzeit bewerben sich an der EPFL absolute Spitzenleute, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie die USA verlassen würden.»
Forschende aus den USA gezielt abzuwerben oder ihnen eine Art Asyl anzubieten, schliesst die 50-jährige EPFL-Präsidentin aus. «Wir überlegen uns aber, Server bereitzustellen, um Kopien von Datensätzen aus den USA hier zu sichern.» Zum Beispiel von Klimadaten, die wichtig seien für die Menschheit.
Frühe Leidenschaft für Mathematik
Anna Fontcuberta i Morral war zwölf Jahre alt, als sie ihre Leidenschaft für Mathematik entdeckte. «Ich hatte in Barcelona einen guten Mathematiklehrer», sagt sie. Ihr habe gefallen, dass man in der Mathematik «nur» verstehen müsse und nichts auswendig zu lernen brauche.
Als sie allerdings ihren Eltern eröffnete, dass sie Physik studieren wolle, waren diese alles andere als begeistert. Die junge Frau musste zum Psychologen, bevor sie ihr Studium starten durfte. Heute hat sie eine internationale Forschungskarriere mit Stationen in Frankreich, Deutschland und den USA.
Die renommierte Physikerin ist spezialisiert auf Halbleiter – also auf die kleinen Chips, die in vielen Dingen des modernen Lebens stecken. Ihr ist es wichtig, einen Fuss in der Forschung zu behalten. Anna Fontcuberta i Morral trifft sich regelmässig mit ihren Doktorierenden und hat mit ihrem Team auch schon den 20-Kilometer-Lauf in Lausanne absolviert.
Anna Fontcuberta i Morral ist die erste Frau, die die EPFL präsidiert. «Eine Wissenschaftskarriere scheint dadurch so viel erreichbarer», sagt die Physikerin Claire Blaga, die bei Fontcuberta doktoriert.
Diversität ist für Anna Fontcuberta i Morral ein wichtiges Kriterium beim Zusammenstellen ihrer Teams. Nicht nur in Bezug auf das Geschlecht, sondern auch auf den gesellschaftlichen Hintergrund: «Wenn im Team alle gleich denken, was nützt dann das Team noch?», fragt die Physikerin rhetorisch. Darüber hinaus habe sie festgestellt, dass die Stimmung in diversen Teams freundlicher und kollegialer sei. «Das finde ich viel netter.»
Ihr Grundsatz: beweisen statt behaupten
Die aktuellen Tendenzen aus den USA beunruhigen die EPFL-Präsidentin: Es sei schlecht für die Welt. Dagegen anzukämpfen, sei jedoch unmöglich. «Wir müssen einfach bleiben, wie wir sind, und zeigen, dass unsere Gesellschaft besser funktioniert.»
Beweisen statt behaupten – Anna Fontcuberta i Morral bleibt auch in Krisenzeiten ganz Wissenschaftlerin. Eine mit Ausdauer.