Das Wichtigste in Kürze
- Beim Attentat auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin vom Dezember führen neue Spuren in die Schweiz.
- Das Handy des Attentäters stammt aus der Schweiz – ebenso dessen Prepaid-SIM-Karte.
- Die SIM-Karte ist nicht auf den Namen des Täters registriert.
Kurz nach 20 Uhr am Abend des 19. Dezember 2016 am Berliner Breitscheidplatz lenkt ein 24-jähriger Tunesier einen gestohlenen Lastwagen mitten in den Weihnachtsmarkt. Er tötet elf Besucher, zuvor hatte er den Lastwagenfahrer umgebracht. Dutzende Menschen werden verletzt.
Nach 60 bis 80 Metern stoppt der Lastwagen dank automatischer Vollbremsung. Der Attentäter klettert aus der Fahrerkabine – und kann inmitten des Chaos fliehen.
Auf dem Boden, nahe der Stossstange des Lastwagens, liegt das Handy des Attentäters. Möglich ist, dass er es hingeworfen hat, auch möglich, dass es aus der geborstenen Frontscheibe geflogen ist.
Sichergestelltes Handy gehörte dem Attentäter
Die Deutschen Ermittler stellen bald fest: das Gerät der Marke HTC gehört dem Attentäter. Das Handy stammt aus der Schweiz, und es ist mit einer Schweizer Prepaid-SIM-Karte ausgestattet.
Damit ergeben sich neue Spuren des Berliner Attentäters in die Schweiz, wie gemeinsame Recherchen der deutschen Zeitung «Die Welt» und der Sendung «10vor10» des Schweizer Radio und Fernsehens SRF ergeben haben. Die Redaktionen berufen sich auf mehrere Quellen mit Einblick in die Ermittlungen rund um den Anschlag, die in mehreren europäischen Ländern laufen.
SIM-Karte auf anderen Namen registriert
Nach Informationen von SRF und der «Welt» stammt das Handy ursprünglich aus der Schweiz. Wie es zum späteren Attentäter gelangte, ist nicht geklärt. Zudem soll auch die Prepaid-SIM-Karte im Handy Schweizer Herkunft sein, das bestätigt eine Person mit Einblick in ein offizielles Dokument, in dem dies erwähnt wird. Registriert ist die Schweizer Prepaid-SIM-Karte demnach auf einen anderen Namen als jenen des Attentäters. Er setzte Handy und Prepaid-Karte ab Februar 2016 ein.
In der Schweiz scheinen diese Angaben nicht vorhanden zu sein. Auf Anfrage teilten Bundesanwaltschaft (BA) und Bundesamt für Polizei Fedpol mit, man könne die Recherchen nicht bestätigen.
Im Rahmen des eröffneten Strafverfahrens verfüge man über keine Angaben zu einer SIM-Karte. «Im Rahmen des Strafverfahrens, das basierend auf ausländischen Informationen eröffnet worden ist, werden vorliegende Kontaktdaten rund um den Täter verifiziert. Die Ermittlungen haben bisher keine konkreten Hinweise auf Bezüge des Attentäters zu Personen oder Institutionen in der Schweiz ergeben», heisst es in der Stellungnahme, die der früheren Äusserungen von BA und Fedpol zu Ermittlungen in der Schweiz entsprechen.
Deutsche überwachten späteren Attentäter
Der Kenntnisstand der Deutschen und der Schweizer Ermittler scheint sich demnach nicht zu decken. Eine mögliche Erklärung dafür bietet der Ablauf der Ereignisse in den Monaten vor dem Anschlag – demnach könnten die Deutschen schon viel früher vom Schweizer Handy des späteren Attentäters erfahren haben, bereits anfangs 2016.
Zusammengefasst sind die Ereignisse rund um den Mann in einer 20 Seiten langen Chronologie der Deutschen Behörden ab Sommer 2015. Demnach wurde der Tunesier im Februar 2016 am Zentralen Omnibus-Bahnhof in Berlin von der Polizei angehalten und kontrolliert.
Dabei nahmen sie ihm ein anderes Mobiltelefon ab, zur «Eigentumssicherung», wie es heisst. Sehr wahrscheinlich setzte er danach das Mobiltelefon aus der Schweiz ein. Rund zwei Wochen später starteten die deutschen Behörden eine Überwachung des Mannes: zwischen dem 4. April und 21. September wurde seine Kommunikation abgehört und er wurde «anlassbezogen» observiert.
Weil er damals gemäss Informationen der Quellen von SRF und der «Welt» das Handy aus der Schweiz nutzte, wurden die Deutschen Ermittler auch auf die Schweizer Prepaid-SIM-Karte aufmerksam. Wie sich die Deutschen Ermittler danach allenfalls mit den Schweizern ausgetauscht haben, ist nicht im Detail bekannt. Gemäss Personen mit Einblick in offizielle Dokumente steht aber ausser Zweifel: Die deutschen Ermittler gehen davon aus, dass der Attentäter ein Schweizer Handy benutzte.
Strafen für fehlbare SIM-Verkäufer geplant
Prepaid-SIM-Karten, die von Kriminellen missbraucht werden, sind kein neues Phänomen. Thomas Hansjakob, Erster Staatsanwalt des Kanton St. Gallen sagte gegenüber «10vor10», offensichtlich sei es sehr einfach, eine SIM-Karte zu besorgen, die auf einen anderen Namen registriert sei. «In Verfahren stellen wir fest, dass ein grosser Teil der SIM-Karten nicht registriert sind. Ich würde sagen zwischen 10 und im Extremfall 40 Prozent der Fälle», so Hansjakob.
Das Problem seien nicht die grossen Anbieter, sonder eher kleinere Läden. «Es gibt Läden, die SIM-Karten weiterverkaufen – und in diesen Fällen hat der Anbieter der SIM-Karten eigentlich keinen Einfluss darauf, ob das sauber abläuft. Und der Wiederverkäufer hat kein grosses Interesse, dies sauber abzuwickeln. Dieser will in erster Linie die SIM-Karte verkaufen.»
In Verfahren stellen wir fest, dass ein grosser Teil der SIM-Karten nicht registriert sind.
Die Rechtslage in der Schweiz ist eigentlich klar, wie Nils Güggi, Leiter Recht und Controlling vom Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr Üpf des Justizdepartments sagt: «Für die Kontrolle der Registrierungen von SIM-Karten sind die Fernmeldedienst-Anbieter zuständig. Sie müssen die Daten aufnehmen und sicherstellen, dass ihre Angestellten die Daten überprüfen. Wir vom Dienst ÜPF haben keine direkte Kontrollmöglichkeit.»
Bei Verstössen gebe es heute keine Sanktionsmöglichkeiten. Man könne einzig das Gespräch suchen. Doch das ändert sich, mit dem neuen Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf): «Das neue Büpf sieht vor, dass wenn eine Anbieterin vorsätzlich Personen nicht korrekt registriert beim Kauf einer SIM-Karte, dass dann eine Busse von bis zu 100‘000 Franken ausgesprochen werden kann», sagte Güggi.