Auf der grünen Wiese östlich von Kaiseraugst AG wurde Geschichte geschrieben. Vor knapp 50 Jahren, am 1. April 1975, wurde das Gelände von AKW-Gegnerinnen und -Gegnern besetzt. Grossdemonstrationen folgten und es entstand die erste grosse Anti-AKW-Bewegung der Schweiz.
Heute erinnert vor Ort nichts mehr an diese turbulente Zeit. Gemeinderat Jean Frey (SVP) steht auf der Strasse neben dem Feld und erklärt die Pläne der Gemeinde und der Landbesitzerin, der Aurica AG.
Auf einer Fläche von 100'000 Quadratmetern soll ein neues Gewerbegebiet gebaut werden, in dem sich Firmen aus der Life Science und Pharmabranche niederlassen sollen. So wie nebenan, wo der Basler Pharmakonzern Roche ein Ausbildungszentrum betreibt.
«Aurica Next» heisst das Projekt. Geplant sind mehrere Gebäude mit einer Höhe bis zu 30 Metern und drei Hochhäuser, die maximal 60 Meter hoch werden sollen, dazwischen viel Grün. «Hier entsteht ein neues tolles Eingangstor zu Kaiseraugst», schwärmt Frey.
Das Areal ist die letzte grosse Baulandreserve von Kaiseraugst. Die Gemeinde rechnet mit zusätzlichen Steuereinnahmen und Einnahmen durch die Mehrwertabgabe.
Vor 50 Jahren hatte der Aargauer Energiekonzern Motor-Columbus noch andere Pläne: In den 1970er-Jahren sollte bei Kaiseraugst ein Atomkraftwerk gebaut werden. Schon früh zeigte sich, dass die Bevölkerung von den Plänen alles andere als begeistert war.
Kaiseraugst, aber auch Rheinfelden und Basel gingen bis vor das Bundesgericht, um den Bau zu verhindern. Doch das höchste Schweizer Gericht lehnte die Klage ab.
Als dann am 1. April 1975 die Bagger auffuhren, reagierten die Atomkraftgegnerinnen und -gegner mit einer Besetzung des Geländes. Unter ihnen war auch der Basler Liedermacher Aernschd Born. «Ich erhielt in der Nacht ein Telefon, dass es losgeht und fuhr dann mit dem ersten Zug nach Kaiseraugst», erinnert sich Born.
Hier kommt nie ein AKW hin.
Die Aktivistinnen und Aktivisten forderten einen sofortigen Baustopp. «Wir sagten dem Vertreter von Motor-Columbus: Hier kommt nie ein AKW hin.» Born und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter sollten Recht behalten, wie sich später zeigte.
Der Druck aus der Bevölkerung gegen das AKW wurde schlicht zu gross. Schon am ersten Sonntag nach der Besetzung kamen über 15'000 Menschen auf das Gelände.
Es herrschte eine «Pfadilager»-Stimmung, beschreibt Born, der später die Ballade von Kaiseraugst komponierte. Dieses Lied entwickelte sich zum bekanntesten Protestsong gegen das AKW Kaiseraugst. «Zusammen singen hat das Gemeinschaftsgefühl gestärkt», sagt Born rückblickend.
Nach rund elf Wochen Besetzung räumten die Aktivistinnen und Aktivisten das Gelände dann freiwillig. Der Bundesrat sicherte Gespräche und ein Baustopp zu. 1988 entschied der Bund, definitiv auf einen Bau des AKW Kaiseraugst zu verzichten.
«Das war ein demokratischer Entscheid, der uns die Möglichkeit gibt, nun dieses wunderbare Projekt zu realisieren», sagt Gemeinderat Jean Frey.
Entscheid über die Zukunft nun bei Gemeindeversammlung
Bis zur Realisierung müssen aber noch ein paar Hürden genommen werden. Voraussichtlich im Juni stimmt die Gemeindeversammlung über die Umzonung ab. Verläuft alles nach Plan, könnten Ende 2026 die ersten Bagger auffahren. Schon fast wie vor 50 Jahren – ausser, dass dann bei niemandem mehr zu Hause das Telefon klingelt.