In den vergangenen Jahren beschäftigte sich der jährliche Antisemitismusbericht vornehmlich mit Corona-Leugnern. Viele von ihnen behaupteten, mächtige Jüdinnen und Juden würden Profit aus der Pandemie schlagen.
In diesem Jahr hat sich das Hauptaugenmerk des Berichts verschoben. Noch immer sind Verschwörungstheorien das Hauptthema. Diese könnten für die Jüdinnen und Juden in der Schweiz gar gefährlich werden.
Corona hat wie ein Brandbeschleuniger gewirkt.
«Die verschwörungstheoretischen Kreise sind schon immer da gewesen», sagt Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Corona habe wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Gruppierungen seien massnahmenkritischer und schliesslich staatskritischer geworden: «Sobald sie sich in ihren eigenen Realitäten verfangen, ist es nicht mehr weit, irrwitzigen antisemitischen Verschwörungstheorien nachzuleben.»
Verschwörungskultur im Internet
Laut dem Antisemitismusbericht hat sich online eine verschwörungsaffine Subkultur entwickelt. Diese sei vor allem auf dem Messenger-Dienst Telegram aktiv. Dabei könnten verschiedenste Themen als Aufhänger dienen, auch der Krieg in der Ukraine.
«Es geht darum, dass überall dunkle Mächte dahinter sind. Mächte, die irgendwie versuchen, etwas Schlechtes zu machen. Irgendwo schwingt dann immer auch implizit oder explizit mit, dass es eine Art jüdische Weltverschwörung gibt», erklärt Kreutner.
Nicht alle, die Verschwörungstheorien anhängen, seien antisemitisch. Aber in dieser Szene hätten judenfeindliche Mythen an Zulauf gewonnen. Laut Kreutner fehlen mahnende Gegenstimmen in den Kanälen. Dies sei für Schweizer Jüdinnen und Juden ein Grund zur Besorgnis. Wenn Menschen von grossem Hass getrieben seien, werde die Gefahr reell. Den Worten könnten dann Taten folgen.
In anderen Ländern haben Leute, die von antisemitischen Verschwörungstheorien beeinflusst waren, bereits Attentate auf Juden oder jüdische Einrichtungen verübt. Beispielsweise im deutschen Halle, als ein Mann in eine Synagoge eindringen wollte. Beim Versuch ermordete er zwei Menschen.
Forderungen an den Bund
Im Antisemitismusbericht stehen auch konkrete Forderungen, um den Hass gegen Jüdinnen und Juden in der Schweiz einzudämmen. Der Staat soll ein Monitoring von Antisemitismus und Rassismus betreiben. Diese Aufgaben könnten nicht allein in der Verantwortung von Nichtregierungsorganisationen und Verbänden liegen, schreiben die Autorinnen und Autoren im Bericht.
Weiter werden rechtliche Mittel zur Erfassung und Beschränkung von Hassreden gefordert. Die Politik müsse auf Social-Media-Plattformen, insbesondere Telegram, einwirken. Zudem soll das Parlament ein Verbot von Nazisymbolen umsetzen. Bereits 2022 hat der Bundesrat das Budget für Minderheiten mit einem besonderen Schutzbedürfnis erhöht. 2.5 Millionen Franken stehen zur Verfügung, um gefährdete Einrichtungen wie etwa Synagogen zu schützen.