Jugendliche sollen frühzeitig unterstützt werden, wenn ihr Einstieg ins Berufsleben wegen gesundheitlicher Probleme gefährdet ist. So soll verhindert werden, dass sie zu IV-Rentnern werden. Das hat der Nationalrat im Rahmen der «Weiterentwicklung» genannten IV-Revision beschlossen. Neu können zum Beispiel bereits 13-jährige der IV gemeldet werden. Damit sie über eine längere Zeit und enger betreut werden können.
Nur wenige nach Massnahme erwerbstätig
Catherine Müller ist verantwortlich für den Bereich «berufliche Integration» bei der Genossenschaft Vebo im solothurnischen Oensingen. Sie begrüsst die vom Nationalrat beschlossenen Reformen. Die Vebo hilft im Auftrag der IV jungen Menschen mit psychischen Einschränkungen, den Einstieg ins Erwerbsleben zu finden. «Die Massnahmen bedeuten für uns konkret, dass wir früher anfangen und länger dranbleiben können. Und das ist für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ein guter Ansatz.»
Skeptisch hingegen ist ein anderer Fachmann. Niklas Baer leitet die Fachstelle Rehabilitation in der Psychiatrie Baselland. Für den Bund untersuchte er 2018, wie erfolgreich die Eingliederungsmassnahmen der IV sind. In einer Studie, an der sich 900 IV-Versicherte beteiligten, kam er zum Schluss, dass bei den Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen 45 Prozent nach einer Massnahmen erwerbstätig waren. Bei den psychisch Beeinträchtigten waren es nur 25. Bei jungen Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sogar nur 20 Prozent.
Abwarten, wie die Massnahmen greifen
Niklas Baer glaubt zwar auch, dass die Massnahmen im Rahmen der IV-Revision in die richtige Richtung gehen. «Sie reichen aber nicht», ist er überzeugt. «Es braucht strukturelle Massnahmen, um die Situation wirklich zu verbessern.» Dazu gehört sein Vorschlag, bei Menschen unter dreissig grundsätzlich keine IV-Rente zu sprechen. «Bei Jungen mit psychischen Problemen braucht es oft einfach mehr Zeit.» Mit dem Grundsatz keine Rente unter 30, würde der Druck erhöht. «Es würde verhindern, dass die IV aber auch die anderen Akteure, die Ärzte und die Arbeitgeber, zu schnell aufgeben bei diesen Fällen», sagt Baer.
Im der nationalrätlichen Gesundheitskommission wurde Baers Vorschlag auch diskutiert. Trotz Sympathien vor allem im bürgerlichen Lager fand er keine Mehrheit. Auch weil man sich nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen konnte. «Es besteht eine gewisse Gefahr, dass man damit mehr Fälle in die Sozialhilfe abschieben würde», erklärt CVP-Nationalrätin Ruth Humbel. Es gehe jetzt darum, einmal abzuwarten, wie die neuen Massnahmen greifen. «Würden sie sich wider Erwarten nicht bewähren, dann müsste man das Konzept von Niklas Baer wieder in Erwägung ziehen.»
Mehrere Anläufe für Eingliederungsmassnahmen
Die Basler SP-Nationalrätin Silvia Schenker hat Verständnis für die Skepsis von Niklas Baer. Tatsächlich werde in einzelnen Fällen zu wenig lange versucht, die Betroffenen einzugliedern. Aber die vom Nationalrat beschlossene Reform bringe auch in diesem Punkt Verbesserungen. «In Zukunft ist es möglich, Eingliederungsmassnahmen mehrmals zu sprechen, also mehrere Anläufe zu nehmen. Das muss aber genutzt werden, einerseits von den Betroffenen. Andererseits aber auch von der IV.»