Kirchen stehen im Dorf, oft schon sehr lange, und sie stehen meist im Zentrum. Nicht so in Aarau. Hier wurden an der Aare, ausserhalb des Zentrums, Überreste einer Kirche aus dem Mittelalter gefunden, samt Schädelknochen. Die Archäologen graben seit November und entwickeln nun Theorien, wofür die Kirche damals am Wasser stand und weshalb sie nicht mehr steht.
Bereits 1936 tauchten erste Überreste der Kirche auf. Jetzt kamen aber im Rahmen eines Neubauprojekts im Aarauer Quartier Telli noch grössere Flächen zum Vorschein. Das Gelände liegt direkt an der Aare. Hier graben Fachleute noch bis Januar auf der Suche nach Antworten.
Neu konnten die Fachleute in Aarau erstmals den gesamten Grundriss freilegen und die Dimensionen der Kirche dokumentieren. 27 Meter lang und knapp 20 Meter breit war die Kirche an der Aare. Ein eckiges Gebäude mit einem eckigen Chor.
Die Archäologen haben nebst Fundamenten der mittelalterlichen Kirche mehrere sogenannte Grabschatten gefunden. Das sind dunkle Verfärbungen im Boden, die zeigen, dass es hier Bestattungen gab. Auch Überreste eines Schädels und weitere Knochen wurden gefunden.
Klar sei, dass die Kirche mit dem eckigen Chor wohl aus dem Mittelalter stamme, sagt Jana Lingg, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kantonsarchäologie. Nur: Eckige statt runde Chöre habe man vom 8. bis zum 13. Jahrhundert gebaut, ein grosser Zeitrahmen also.
Bei den Gräbern wurden keine Beigaben gefunden. Und auch in den Überlieferungen steht nichts über Gräber oder eine Kirche an der Aare.
Kirche nicht im Dorf
Die Kirche in Aarau stand ausserhalb am Fluss, nicht im Stadtzentrum. Vermutlich befand sich die Kirche damals auf einer Aare-Insel. Diese ist später verlandet, heute ist das Gebiet ein Wohnquartier.
Wir haben sehr viele Gräber gefunden, mehr als gedacht.
Andere Siedlungsspuren habe man im Wohnquartier an der Aare aber bisher nicht gefunden, sagt die Archäologin weiter. Das deutet darauf hin, dass die Kirche alleine hier stand. Ob damals auf der anderen Seite der Aare Gebäude standen, wisse man nicht.
Schutz vor dem Wasser?
Ein Kartenblatt aus dem 18. Jahrhundert zeigt, dass die Aare früher hier überquert wurde, über eine sogenannte Furt. Die These der Archäologin: Die Kirche könnte eine Schutzfunktion gehabt haben: «Ein Flussübergang war ein gefährliches Unternehmen. Auch bei Brücken standen heilige Figuren, um sich den Beistand Gottes zu holen.»
Um ganz genau herauszufinden, wie alt die Kirche sein könnte, müsste man die gefundenen Keramikscherben oder Skelette datieren, mit einer genauen, aber eher kostspieligen Messmethode. Diese kann auf etwa 100 Jahre genau sagen, von wann Funde stammen. Noch ist unklar, ob das geschieht.
Kein Unglück, sondern Rückbau?
Unklar ist, warum die Kirche nicht mehr steht. An der Fundstelle gebe es keine Hinweise auf eine Zerstörung der Kirche. Sie scheint mit Sorgfalt abgebaut worden zu sein. «Hätte es ein Unglück gegeben, hätte es zum Beispiel Spuren von Ziegeln im Boden», weiss Kantonsarchäologe Matthias Flück.
Haben die Gründung der Stadt Aarau und der Bau der zentralen Stadtkirche etwas mit der Aufgabe der Telli-Kirche zu tun? Das Rätsel ist noch nicht gelöst. Gut möglich, dass sich das Resultat der Grabungen auf die Aarauer Geschichtsbücher auswirkt, glaubt Archäologe Flück.