Die Türkei hat eine beispiellose Propaganda-Tournee durch Europa lanciert – mit dem Ziel, Auslandtürken von einem Ja zu Präsident Erdogans Verfassungsänderung zu überzeugen. Soll die Schweiz Politiker, welche für den autoritären Umbau der Türkei werben, bei uns auftreten lassen?
Einen hektischen Schlagabtausch gab es in der «Arena» wegen dieser Frage nicht. Einig war man sich in der grundsätzlichen Antwort: «Die Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter.» Und weil Auftrittsverbote diese eben rasch einschränken, seien sie spärlich anzuwenden. Am meisten Argumente für ein mögliches Verbot sah SP-Nationalrätin Chantal Galladé. «Wir müssen nicht mithelfen, Demokratie und Menschenrechte abzubauen.» Wichtig sei es, den Einzelfall zu beurteilen.
Wir müssen nicht helfen, Demokratie abzubauen.
Kritik an Mario Fehr
Im Einzelfall gab es in der Diskussionsrunde auch Differenzen. Etwa im Urteil über das Handeln des Zürcher Regierungsrats und Sicherheitsdirektors Mario Fehr, als er den Auftritt des türkischen Aussenministers nicht bewilligen wollte.
«Die entscheidende Frage bei einer solchen Rede darf nicht der Inhalt sein – solange nicht explizit zu Straftaten aufgerufen wird – sondern die Beurteilung der Sicherheit. Und: Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass die Zürcher Polizei nicht in der Lage ist, diese sicherzustellen», kritisierte FDP-Ständerat Andrea Caroni. Tiana Angelina Moser (GLP) zielte in die gleiche Richtung: «Wir können es uns nicht leisten, aufgrund einer Provokation von ausländischen Politikern die Meinungsfreiheit einzuschränken. Wir können darauf vertrauen, dass die Menschen sich selbst ein Urteil bilden können.»
Die Menschen können damit umgehen und sich selbst ein Urteil bilden.
Roland Büchel (SVP) nahm Mario Fehr in Schutz: Er sei ein erfahrener Politiker, der wisse, was er tue. Fehr war selbst nicht anwesend und konnte sich deshalb nicht äussern, aber Parteikollegin Galladé hatte sich vorgängig mit ihm ausgetauscht. Der türkische Minister habe sich nicht an die gängigen Regeln gehalten, die Behörden nicht richtig informiert und darum sei die Sicherheit bei so einem ranghohen Besuch fraglich gewesen.
Wie weit darf man sich einmischen?
Die Zeitung «Blick» wendete sich kürzlich mit einer Warnung vor Erdogan auf der Titelseite an die Türken. Aber geht es die Schweiz etwas an, was ein gewählter ausländischer Präsident in seinem Land macht? Angelina Moser: «Erdogan ist unterwegs, eine Diktatur einzurichten. Wir dürfen uns aufregen.» Und man dürfe seine Besorgnis kundtun, auch offiziell und öffentlich. SVP-Nationalrat Roland Büchel hingegen fragte sich, ob die «offizielle Schweiz den Zeigefinger erheben» soll. Man müsse schliesslich weiterhin mit der Türkei zusammenarbeiten.
Schwierig werde es, wenn mit unterschiedlichen Ellen gemessen werde, so Andrea Caroni. Etwa, wenn eine Demo von Schweizer Erdogan-Kritikern auf dem Bundesplatz bewilligt werde, aber der Auftritt eines ausländischen Parlamentariers nicht.
Es ist schwierig, wenn die Schweiz mit dem Zeigefinger auf andere zeigt.
Für Chantal Galladé blieb dennoch klar: Bei der Beurteilung von Gesuchen brauche es klare Kriterien: «Kriterien wie: ‹Ist Sicherheit gewährleistet?›. Wenn sich Menschen im Land nicht mehr sicher fühlen, muss man eingreifen.» Und damit meinte die SP-Nationalrätin nicht nur propagandistische Kundgebungen, sondern sprach besonders die mutmasslichen Bespitzelungen von Erdogan-Anhängern an Schweizer Universitäten an. Doch hier waren die Debattierenden wieder voll auf einer Linie: Das sei eine klare Einmischung und zu verfolgen und zu verurteilen. Weil dies nicht zuletzt auch ein Angriff auf unserer Meinungsfreiheit sei.
Und was ist mit radikaler Propaganda im Inland?
Ähnliche Fragen stellten sich bei Auftritten radikal konservativer islamischer Prediger in der Schweiz – und bei Gruppierungen wie «Lies!», denen Kontakte zum «Islamischen Staat» nachgesagt werden. Soll man Redner und Organisationen in der Schweiz gewähren lassen oder ein Verbot aussprechen?
Während der Präsident der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, Hans-Jürg Käser, unlängst deutlich ein Verbot von «Lies!» forderte, sprach der Journalist und Islam-Experte Kurt Pelda von einem Dilemma. Einerseits seien da wirklich gefährliche Menschen involviert, andererseits sei ein Verbot schwierig umzusetzen und könnte auch kontraproduktiv wirken. Sehen Sie seine Ausführungen im Video: