Die Forderung nach einer amtlichen Anerkennung von nichtbinären Menschen ist nicht neu. Vor zwei Jahren erteilte der Bundesrat der Einführung eines dritten Geschlechtseintrags eine Absage mit der Begründung, dass die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür «derzeit nicht gegeben» seien. Mit Nemos Sieg am ESC gelangt das Anliegen erneut auf die politische Agenda.
«Es geht um Identität, um das innere Bewusstsein eines Menschen, welchem Geschlecht er angehört», sagt Sandro Niederer, Mitglied der Geschäftsleitung vom Transgender Network Switzerland in der «Arena». Die Anerkennung der Geschlechtsidentität sei ein Menschenrecht. Deshalb fordert Niederer, selbst nichtbinär, einen dritten, amtlichen Geschlechtseintrag.
SVP-Ständerätin Esther Friedli wehrt sich klar gegen dieses Anliegen. Die Gesellschaft und der Staat seien binär ausgerichtet, unterschieden also zwischen Mann und Frau. Diese «Rahmenbedingungen» sollen laut Friedli beibehalten werden. «Der Staat kann Rahmenbedingungen auch verändern», kontert SP-Nationalrätin Tamara Funiciello, die sich für einen dritten Geschlechtseintrag einsetzt.
Sind die Hürden zu gross?
Klar ist: Auch wenn die Forderung nicht neu ist, steht die gesellschaftliche Diskussion noch ganz am Anfang. Deswegen befürchtet Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte Frauen Schweiz, eine Kluft in der Gesellschaft und dass sich viele Menschen abgehängt fühlen könnten. «Ich verstehe das Anliegen und habe viel Respekt davor», so Bachmann-Roth. «Aber wenn wir diese Debatte führen, müssen wir uns klar sein, was die Konsequenz ist.»
In der Schweiz knüpfen zahlreiche Gesetze und Regelungen an das amtliche Geschlecht an, etwa die Militärdienstpflicht für Männer. Dieses Beispiel nennt auch SVP-Ständerätin Friedli und warnt vor unklaren Folgen: «Eine Minderheit will das ganze Staatswesen umkrempeln.»
Dass die Umsetzung herausfordernd wäre, ist auch für Sandro Niederer vom Transgender Network Switzerland klar. Dennoch sei die Sichtbarkeit von nichtbinären Menschen in der Gesellschaft wichtig, auch, damit sie weniger Diskriminierung erfahren würden: «Es geht nicht, dass wir Gewalt und Diskriminierung erleben müssen, weil andere Menschen sich nicht mit diesem Thema auseinandersetzen wollen.» Gemäss Schätzungen leben in der Schweiz rund 150'000 nichtbinäre Menschen. Friedli entgegnet, bereits heute gebe es in der Schweiz die Möglichkeit, rechtlich gegen Diskriminierung vorzugehen.
Gefahr für die Gleichstellung?
Nebst einem dritten Geschlechtseintrag steht auch die Möglichkeit einer geschlechtsneutralen Rechtsordnung – also die Streichung des Geschlechtseintrags – zur Debatte. In der «Arena»-Runde stösst diese Lösung auf wenig Zuspruch. Mitte Frauen Präsidentin Bachmann-Roth sieht hier eine grosse Gefahr für die Gleichstellung von Frauen: «Das würde bedeuten, dass man in Unternehmen in Zukunft nicht mehr aufschlüsseln könnte, wie viele Frauen es in der Geschäftsleitung gibt.» SVP-Ständerätin Friedli sieht es ähnlich und warnt davor, dass Schutzräume für Frauen, wie etwa eine Sauna oder Garderobe, durch eine solche Regelung abgeschafft werden könnten.
Man kann Gleichberechtigung nicht über Bürokratie einführen.
Für die Co-Präsidentin der SP Frauen, Tamara Funiciello, sind Schutzräume für Frauen genauso wichtig. Sie warnt aber auch davor, die feministische Bewegung gegen nichtbinäre Menschen «auszuspielen». Zur Abschaffung des Geschlechtereintrags sagt Funiciello: «Man kann Gleichberechtigung nicht über die Demokratie einführen.» Auch ohne amtliche Geschlechter würde es noch Diskriminierung geben, ist sie überzeugt und sieht in einem ersten Schritt die Einführung eines dritten Geschlechtseintrags deutlich realistischer.
Niederer stimmt zu, Geschlechtsidentität sei für Menschen grundsätzlich relevant. Zum Schluss der Sendung ist Niederer überzeugt: «Ich glaube, in zehn Jahren werden wir sehr viel weiter sein in der Anerkennung von nichtbinären Personen.» Bis dahin werden wohl noch viele Diskussionen geführt werden.