Bier und Wein suchte man in den Migros-Regalen bisher vergeblich. Doch diese fast hundertjährige Tradition könnte bald zu Ende gehen. 2,3 Millionen Genossenschafterinnen und Genossenschafter stimmen bis am 4. Juni darüber ab, ob die Migros in Zukunft Alkohol verkaufen soll.
«Das Verbot ist nicht mehr zeitgemäss», sagte Renata Georg, Genossenschaftsrätin der Genossenschaft Migros Zürich, in der «Arena» am Freitagabend.
Georg hat die Alkohol-Abstimmung mitinitiiert und damit die Debatte ins Rollen gebracht. Sie will die Migros-Statuten an die Realität anpassen. «Man kann nicht sagen, man verkaufe keinen Alkohol und gleichzeitig die zweitgrösste Alkoholverkäuferin sein.»
Schliesslich verkaufe der Migros-Konzern schon heute Alkohol, etwa in den Denner-Filialen oder online. Die Aufhebung des Verbots sei nötig, um die Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten.
Die Migros könnte ihr Image aufs Spiel setzen
Für die Gegner ist dadurch ein Kernwert der Migros-Identität und damit Migros-Gründer Gottlieb Duttweilers Erbe in Gefahr. «Bei der Wahrnehmung der Marke Migros rangiert das Alkoholverkaufsverbot ganz oben», sagte Markenexperte Stefan Vogler. Die Migros geniesse dadurch schweizweit grosse Sympathie.
Der Alkoholverkauf entspricht dem Kundenbedürfnis.
Diese Reputation setze die Detailhändlerin mit dem Verkauf von Alkohol aufs Spiel, sagte Vogler. «Es könnte zumindest der Anfang davon sein, dass man Duttis Werte nicht mehr lebt.»
Nicolo Paganini, Mitglied der Migros-Verwaltung Ostschweiz, hingegen sagte, der Alkoholverkauf entspräche dem Kundenbedürfnis. «Kundinnen und Kunden sollen alles im selben Laden erhalten können.» Der zusätzliche Umsatz führe wiederum zu höherem sozialem Engagement und zu Investitionen ins Kundenerlebnis, ins Sortiment und in die Läden.
Dieser Auffassung widersprach Ueli Mäder, emeritierter Professor für Soziologie. Man habe lange die Freiheit in der Anonymität gesucht. Heute suchten Konsumentinnen und Konsumenten das Persönliche. «Es ist überall alles gleich und etwas öde, die Angebote häufen sich, deshalb ist ein unternehmerisches Denken gefragt, das Unterschiede zelebriert.»
Zudem habe Freiheit auch eine Verantwortungskomponente, sagte Mäder. Die Migros könnte jetzt ein wichtiges Zeichen setzen, dass «die Gesundheit wichtiger als der Umsatz ist».
Verbot von Alkohol oder Förderung von Suchttherapien?
Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen, bezweifelte, ob das Alkoholverbot der Migros die Alkoholabhängigkeit gross beeinflussen könnte und lieferte stattdessen eine Marketingidee.
Statt Verbote zu sprechen, solle die Detailhändlerin lieber in ein Alkoholprozent investieren. So könnte etwa ein Teil der Einnahmen durch den Alkoholverkauf direkt in Suchttherapien und Präventionsarbeit fliessen. Dadurch würde die ganze Gesellschaft profitieren und die Migros sich wiederum von der Konkurrenz abheben.
Es ist wichtig, dass es solche alkoholfreien Orte gibt.
Den Gegnerinnen reicht das nicht. Die Migros biete eine geschützte Möglichkeit für alkoholabhängige und suchtgefährdete Personen, um einzukaufen, ohne in Versuchung zu geraten, sagte Lilian Studer, Präsidentin der EVP.
Betroffene Personen würden diesen Rahmen schätzen, weiss die ehemalige Geschäftsführerin des Blauen Kreuzes Aargau/Luzern. «Es ist wichtig, dass es solche alkoholfreien Orte gibt.»
«Wir stellen den Menschen resolut in den Mittelpunkt unseres Denkens», war Duttweilers Credo. Die Migros sei grundsätzlich meinungsoffen, sagte Renata Georg. Das Management werde umsetzen, was die Genossenschafterinnen und Genossenschafter an der Urne entscheiden werden. Die Urabstimmung ist damit ganz im Sinne von Dutti.