«Ich habe bereits über 100 Bewerbungen geschrieben. Bisher war die Antwort immer negativ», berichtete die Ukrainerin Elena Chepurenko von ihren Erfahrungen bei der Stellensuche. Chepurenko ist mit ihrer Tochter und ihrer Mutter aus Kiew geflüchtet. Seit rund zehn Monaten sind sie bei einer Gastfamilie in Rorschach untergebracht.
Wie Elena Chepurenko, die einen Master in Wirtschaftswissenschaften und langjährige Arbeitserfahrung im Finanzbereich hat, sind viele Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schutzstatus S in der Schweiz gut ausgebildet und motiviert, zu arbeiten. Doch sie finden keine Stelle.
Das liege vor allem am rückkehrorientierten Schutzstatus S, so Chepurenko: «Die Arbeitgeber sind sich nicht sicher, ob ich für die Dauer des Arbeitsvertrags hierbleibe.» Dabei wisse niemand, wie lange der Krieg noch dauern werde. «Das Sozialamt sagt, wir müssen uns integrieren und gleichzeitig sollen wir wieder gehen.»
Es führt zu grossem Unmut in der Bevölkerung, wenn Flüchtlinge mit dem SUV herumfahren und gleichzeitig Sozialhilfe erhalten.
«Der S-Status wurde eingeführt, weil man dachte, der Krieg sei bald zu Ende», sagte der Luzerner Regierungspräsident und Sozialvorsteher Guido Graf. Nun müsse der Status angepasst werden, damit die Geflüchteten besser in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten. Solche Arbeitskräfte seien gesucht.
Ausserdem hafte dem Schutzstatus S ein «Systemfehler» an: «Es führt zu grossem Unmut in der Bevölkerung, wenn Flüchtlinge mit dem SUV herumfahren und gleichzeitig Sozialhilfe erhalten», so Graf. Die Geflüchteten aus der Ukraine erhielten nicht nur schwer erklärbare Privilegien, sie hätten auch hohe Erwartungen gegenüber dem Staat.
Graf forderte eine Gleichbehandlung der verschiedenen Gruppen von Geflüchteten und Sozialhilfebezügern, die in der Schweiz lebten. «Sonst kann die Solidarität kaum aufrechterhalten werden.»
«Auch reiche Geflüchtete brauchen Schutz», konterte Grüne-Nationalrätin Irène Kälin seine Aussage. Zudem kämen vorwiegend Frauen mit Kindern. «Die Ukraine ist ein fortschrittliches Land, man ist sich gewöhnt, dass es familien- und schulergänzende Tagesstrukturen gibt.» Solche Angebote fehlten mancherorts, deshalb sei es auch verständlich, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer etwas fordernd seien. Kälin stimmte Graf aber zu, dass eine Unterscheidung von Geflüchteten verschiedener Herkunft nicht zielführend sei.
Die Schweiz macht sehr viel, aber wir können nicht alle aufnehmen.
Im Asyl- und Flüchtlingswesen laufe seit Jahren vieles schief, ist SVP-Nationalrat Benjamin Fischer überzeugt. «Die Schweiz macht sehr viel, aber wir können nicht alle aufnehmen.» Man müsse unterscheiden zwischen Geflüchteten, die an Leib und Leben bedroht seien, und solchen, die das nicht seien.
Beim Schutzstatus S gebe es keine Einzelfallprüfung, die Geflüchteten würden pauschal aufgenommen. «Würde der Schutzstatus S aufgehoben, könnte jeder dieser Geflüchteten einen regulären Asylantrag stellen. Dieses Ausmass wäre nicht tragbar.» Stattdessen müsse eine Lösung gefunden werden, die davon abhänge, wie viele Leute auch wieder heimkehrten.
Anders als Fischer zieht SP-Nationalrätin Samira Marti aus der Grosszügigkeit des letzten Jahres auch positive Schlüsse. Wenn man mehr Geld investiere, damit die Geflüchteten eine Ausbildung machen könnten, und Unterstützung und Zugang zum Arbeitsmarkt biete, führe das zu tieferen Sozialhilfekosten und sei die beste Wiederaufbauhilfe für die Ukraine. «Die Politik darf den Geflüchteten nicht unnötige Hürden aufstellen, vielmehr sollte sie Vertrauen schaffen.»