Die Solidarität mit den Schwächsten wankt zwischen Kostendruck und Missbrauchsverdacht. Geht es nach dem Nationalrat und den Kantonen, sollen bei der Sozialhilfe, bei den Ergänzungsleistungen und bei der Sozialhilfe für Flüchtlinge Abstriche gemacht werden. Ist das sinnvoll für die Gesellschaft? Ist das tragbar für die Betroffenen? Und um wie viel geht es da?
Jonas Projers Gäste in der Arena gehen die Fragen erwartungsgemäss aus zwei verschiedenen Perspektiven an. Die Befürworter des Sparkurses fokussieren auf den Staat und seine seit Jahren steigenden Soziallasten. Die Gegner einer Reduktion der Hilfe haben bei ihrer Argumentation die Betroffenen selbst im Blick.
Ein 20-Jähriger, der noch nie gearbeitet hat, soll weniger bekommen, als jemand der ein Leben lang erwerbstätig war.
Die Schweiz habe sich ein Sozialsystem zugelegt, das kaum mehr Anreize schaffe, am Erwerbsleben teilzunehmen, argumentiert Nationalrat Thomas Müller (SVP/SG). Der Stadtpräsident von Rorschach berichtet von der stetigen Zunahme von Sozialfällen in seiner Gemeinde.
Unterstützung erhält Müller von Nationalrätin Ruth Humbel (CVP/AG). Es gehe bei der Vorlage nicht ums Sparen, sondern darum, die Anreize zu verbessern. «Ein 20-Jähriger, der noch nie gearbeitet hat, soll weniger bekommen, als jemand der ein Leben lang erwerbstätig war», fordert Humbel.
Den Konzernen machen wir Milliarden-Steuer-Geschenke, und bei den Armen sparen wir. Das ist nicht die Schweiz, die ich will.
Für den Soziologen Ueli Mäder ist das zu kurz gedacht. Eine solche Vorlage treffe alle und nicht nur diejenigen, die Missbrauch betreiben. «Ein Drittel der Bezüger sind so genannte «Working Poor», zitiert Mäder aus einer jüngeren Studie, «Menschen, die trotz Erwerbsarbeit Hilfe brauchen.»
Auch verwehrt sich Mäder gegen die Behauptung der Befürworter, dass für die Betroffenen «noch Luft nach oben» bestünde. Bei durchschnittlich 9000 Franken pro Jahr könne nicht mehr viel gespart werden.
Noch vehementer sperrt sich Fabian Molina. Der Zürcher SP-Nationalrat beschuldigt die Rechtskonservativen des doppelten Spiels. Den Konzernen würde man Milliarden-Steuer-Geschenke machen, während es für den unteren Teil der Gesellschaft immer enger werde. Zudem sei der Zuwachs der Sozialleistungen auch ein Strukturproblem. Es gäbe immer weniger Jobs, und immer mehr Menschen würden aus der Arbeitslosenversicherung und der IV in die Sozialhilfe überstellt.
Wir müssen wieder lernen, unsere Grenzen zu schliessen, und diese kommen lassen, die wirklich Schutz brauchen, und die anderen nicht.
Zusätzliche Brisanz erhält das Thema Sozialhilfe unter den «Arena»-Gästen im Kontext der Flüchtlingskrise. Auch hier plädiert Ruth Humbel für eine Differenzierung. Dass ein vorläufig Aufgenommener Eritreer gleich viel bekomme wie ein alter Mensch oder ein Kranker, sei im Sinne des Anreizprinzips nicht zielführend.
Für Müller liegt der Fall noch klarer. Wir müssten in der Schweiz wieder lernen, die Hilfe denen zukommen zu lassen, die wirklich in Not seien. Für die anderen seien die Grenzen zu schliessen.
Hier plädierte Mäder demgegenüber für mehr Weitsicht. Man müsse endlich auch die Hintergründe dieser Menschenströme in die Beurteilung der Situation miteinbeziehen, sagt der Soziologie-Professor der Universität Basel. Er verweist dafür auf einen UNO-Bericht, wonach der westliche Überverbrauch von Ressourcen massgeblich für die Wanderungsbewegungen verantwortlich sei.
Noch weniger Konsens erreicht die Runde in der «Arena» bei den Ergänzungsleistungen. Hier würde bei den Ärmsten gespart, moniert Molina. Müller verweist auf die rasante Zunahme dieser Leistungen in den letzten Jahren.
Mäder mahnt auch hier die Runde zu einer weiteren Sicht und ergänzt die Argumentationen mit Zahlen. Diese Zunahmen bei den Ergänzungsleistungen, so argumentiert der Soziologe, seien auch demografisch bedingt und würden sich ab 2030 automatisch wieder verflachen.