Es hagelt Kritik gegen die Schweizer Botschafterin im Iran, Nadine Olivieri Lozano. Der Grund: Sie besuchte die religiöse Pilgerstadt Ghom – und das bekleidet in einem sogenannten Tschador, einem Ganzkörperschleier. Bilder ihres Besuchs am Mittwoch fanden Anstoss auf Twitter.
Zahlreiche Nutzerinnen bezeichnen es als Schande, dass Lozano sich im Tschador gekleidet mit Religionsführern ablichten liess. Die belgische Parlamentsabgeordnete Darya Safai schrieb: «Während Millionen iranischer Frauen für Frauenrechte kämpfen [...], trägt sie einen Hidschab und macht Werbung für die Unterdrücker.» Auch andere kritisieren, dass die Schweizer Botschafterin mit ihrem Auftritt die iranische Regierung unterstütze.
Für Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller (AG) ist der Auftritt ein Schlag ins Gesicht für jene, die im Iran protestieren. «Das scheint mir sehr ungeschickt, sich so ablichten zu lassen», sagt sie. «Diese Bilder könnten instrumentalisiert werden und das ist jetzt auch passiert.»
Proteste gegen das Regime
Seit Mitte September gibt es im Iran wiederholt Proteste gegen die religiöse sowie politische Führung des Landes. Auslöser war der Tod von Mahsa Amini, die in Gewahrsam der Polizei ums Leben gekommen war. Die iranische Kurdin war von der sogenannten Sittenpolizei wegen Verstosses gegen die im Iran geltenden islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden. Der Iran hat die Proteste wiederholt gewaltsam niedergeschlagen.
Auch in der Schweiz haben Menschen für die Protestbewegung im Iran demonstriert. Dabei war auch Kritik an der Iran-Politik des Bundesrats laut geworden.
Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, hat kein Verständnis für den Auftritt von Botschafterin Lozano im Tschador. «Es ist eine Aktion ohne Mut», sagt sie.
Aus Sicht von Keller-Messahli hätte die Schweiz eine Sonderstellung in Bezug zum Iran, weil sie etwa die Amerikaner vertritt. Deshalb könnte die Botschafterin auch klar sagen, dass sie den Tschador nicht trage. «Man muss nicht alles akzeptieren, was einem das Regime aufzwingen will», sagt sie.
Aussendepartement wehrt sich gegen Kritik
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) weist die Kritik am Auftritt zurück. Die Botschafterin habe in Ghom eine akademische Institution besucht, die Studierenden die Teilnahme an interreligiösen Seminaren in der Schweiz ermögliche, schrieb das EDA. Beim Besuch des Schreins habe sie das dort gültige Bekleidungs-Protokoll für Frauen eingehalten.
Das EDA betonte, die Schweiz habe wiederholt und klar zu den Menschenrechtsverletzungen im Iran Stellung genommen. Die Anwendung von Gewalt gegen Demonstrierende habe sie mehrfach verurteilt.
«Anerkennung für das Regime»
Für Islamwissenschaftler Reinhard Schulze ist der Auftritt aber problematisch. «Das Hauptproblem war, dass der Auftritt im Kontext der Revolte im Iran stattgefunden hat. Damit wurde eine Anerkennung an das Regime ausgesprochen», sagt der Professor der Universität Bern.
Für den Iran sei ausländische Anerkennung wichtig, weil sie sie im Inland verloren habe. Darum wollte der Iran die Bilder bewusst verbreiten, so Schulze.