Mehrere Tausend Personen haben am Donnerstagabend in Bern auf dem Bundesplatz ohne Bewilligung gegen die Corona-Schutzmassnahmen demonstriert. Die Polizei setzte vor dem Bundeshaus Wasserwerfer und Gummischrot ein, weil einige versuchten, die Absperrzäune zu durchbrechen. Bundespräsident Guy Parmelin verurteilt im Interview die Vorfälle und appelliert an Unzufriedene, ihre politischen Rechte zu nutzen.
SRF News: Herr Bundespräsident, gestern kam es auf dem Bundesplatz zu Gewalt von einigen Demonstranten. War das heute ein Thema im Bundesrat?
Guy Parmelin: Nein, das war kein Thema. Aber diese Gewalt stört uns natürlich. Wir haben Gesetze, und die müssen respektiert werden. Man kann demonstrieren, man kann über alles diskutieren, das ist sehr wichtig. Aber es gibt Grenzen, und wenn die überschritten werden, dann geht es nicht mehr.
Und Sie finden, dass gestern diese Grenze überschritten wurde?
Sobald Gewalt da ist: Ja!
Einige Demonstranten haben «Ueli, Ueli» gerufen, sich also auf Bundesrat Ueli Maurer bezogen. Ist das nicht irritierend, wenn bei solchen Ausschreitungen ein Bundesrat eine Rolle spielt?
Das sehe ich nicht so. Noch einmal: Wir können demonstrieren in diesem Land, wir haben Redefreiheit. Aber man muss auch aufpassen mit den Worten: In zehn Tagen ist der 20. Jahrestag des Attentats von Zug. Das darf man nie vergessen! Wir leben in einem Rechtsstaat.
Wir können abstimmen und Referenden lancieren. Diese Rechte müssen genutzt werden. Aber Gewalt führt nirgendwo hin.
Wir haben viele Möglichkeiten auszudrücken, wenn wir nicht zufrieden sind. Man kann uns auch schreiben, ich versuche alle Zuschriften, wenn möglich zu beantworten. Diese Freiheit haben wir in diesem Land. Wir können abstimmen. Wir können Referenden lancieren. Diese Rechte müssen genutzt werden. Aber Gewalt führt nirgendwo hin.
Ich verstehe, wenn Sie nicht über Ueli Maurer reden wollen. Aber reden wir über die Rolle Ihrer Partei, der SVP, die ja immer wieder sehr viel Verständnis äussert für die Gegner der Corona-Massnahmen und Impfskeptiker. Ist das nicht ein gewisses Problem?
Die Parteien spielen ihre Rolle, der Bundesrat hat eine andere Rolle. Er ist eine Exekutive. Wir müssen die besten Massnahmen treffen für die Gesundheit, für die Wirtschaft, für das Land, also für das allgemeine Interesse. Das machen wir regelmässig, auch heute Morgen. Wir müssen immer das Gleichgewicht zwischen Wirtschaft und Gesundheit finden, damit wir so schnell wie möglich aus dieser Krise herauskommen.
Der Bundesrat macht, was nötig ist, damit wir so schnell wie möglich aus dieser schwierigen Situation herauskommen.
Wir hatten in der Schweiz im Vergleich zum Ausland sehr milde Massnahmen und Beschränkungen. Trotzdem scheint der Widerstand fast stärker zu sein als in anderen Ländern. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Das ist schwierig zu erklären. Sie haben recht: Wenn ich mit Freunden aus dem Ausland diskutiere, dann höre ich oft: Wie habt ihr das in der Schweiz gemacht, viel weniger harte Massnahmen zu treffen? Wir müssen mit diesem Widerspruch leben. Wir müssen erklären, warum der Bundesrat die Massnahmen treffen muss. Der Bundesrat macht, was nötig ist, damit wir so schnell wie möglich aus dieser schwierigen Situation herauskommen.
Was können Sie, als Bundespräsident, aber auch als Bürger, machen, um dieser zunehmenden Radikalisierung entgegenzutreten?
Jeder muss sich überlegen, was er für das Land machen kann. Und nicht nur für sich selbst. Das gilt für alle: die Geimpften und die nicht Geimpften. Was kann ich für das Land machen? Und nicht: Was muss das Land für mich machen? Das war John F. Kennedy, der das gesagt hat, und jetzt kann man sagen, der Bundesrat Parmelin will das Gleiche. Spass beiseite – es ist mir sehr ernst damit. Ich kann verstehen, wenn es Unzufriedene gibt. Aber es gibt mehrere Möglichkeiten, diese Unzufriedenheit zu zeigen, ohne Gewalt!
Das Gespräch führte Urs Leuthard.