- Auf der Intensivstation des Basler Unispitals wird in einer Studie Patientinnen und Patienten Weizenbier per Magensonde verabreicht.
- Ärztinnen und Ärzte hoffen, dass mit dieser Methode ein sogenanntes Delir verhindert werden kann.
- Dieser Zustand der Verwirrtheit tritt bei vielen Intensivpatienten auf. Möglicher Grund: eine Alkohol-Abstinenz.
Bier per Magensonde an Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation zu verabreichen, um einen Delir-Zustand zu verhindern – eine Bieridee? Nein! Martin Siegemund, Chefarzt der Intensivstation, meint es ernst. Denn ein Delirzustand ist gefährlich und belastend.
«Der Patient ist verwirrt. Er weiss nicht mehr, wo er ist, meint zum Beispiel, er sei in Paris oder möchte seine Kinder sehen, obwohl er gar keine hat.» Auch für das Pflegepersonal und Angehörige ist ein solcher Zustand eine grosse Herausforderung. Dem Personal bleibe kaum eine Möglichkeit, ausser gut auf die Patienten einzureden. Verhindern könne man ein Delir damit aber nicht.
Deshalb geht Siegemund einen Schritt weiter und greift zu einer ungewöhnlichen Methode. In einer Studie erhalten zufällig ausgewählte Patientinnen und Patienten jeden Abend sechs Tage lang einen halben Liter Weizenbier über eine Magensonde verabreicht. Andere Patienten erhalten nur Wasser. So kann man die beiden Gruppen vergleichen.
Ein Bier am Abend – für viele eine Gewohnheit
Die Vermutung: Ein Bier oder ein Glas Wein am Abend sind sich viele Menschen im normalen Tagesablauf gewohnt. «Eine mögliche Ursache für ein Delir ist Alkohol, den die Patienten regelmässig in sehr kleinen Mengen konsumieren. Wenn sie den bei uns nicht mehr bekommen, werden sie anfälliger für ein Delirium.»
Stellt sich die Frage: Jeden Abend einen halben Liter Bier für Patienten, die zum Teil nicht bei Bewusstsein sind – ist dies nicht problematisch? «Doch», sagt Siegemund.
Es sei aber grundsätzlich ein Problem, dass man ohne Einwilligung des Patienten keine Forschung machen könne. «Intensivpatienten können wir in seltenen Fällen fragen, weil sie oft notfallmässig zu uns kommen. Deshalb gibt es im Forschungsgesetz einen Paragrafen, der uns eine solche Studie erlaubt.»
Klar ist jedoch, dass man gewisse Patientinnen und Patienten ausschliesst. Zum Beispiel Schwangere oder Personen, die früher ein Alkoholproblem hatten oder aus religiösen Gründen keinen Alkohol konsumieren dürfen – falls dies so in den Krankenakten vermerkt ist.
Rund 40 Prozent der Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation sind von einem Delir betroffen. Medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten dagegen gibt es kaum. Deshalb wird die Studie in Basel von Fachleuten mit Interesse verfolgt.
Experten skeptisch
Wolfgang Hasemann, Leiter des Basler Demenz-Delir-Programms am Felix-Platter-Spital, verfolgt das Experiment mit Interesse: «Die Studie ist sehr interessant und ich bin auf das Ergebnis gespannt, weil es eine Wissenslücke füllt. Wir wissen nicht, wie Alkohol beim Delir wirkt.» Er sei jedoch auch skeptisch, betont Hasemann.
Die Ergebnisse werden uns zeigen, wer recht hat: die Studie oder meine Skepsis.
Alkohol könne nämlich auch Delir-fördernd sein. Zudem sei es sinnvoller, eine Studie nur mit Patientinnen und Patienten zu machen, von denen man weiss, dass sie ein Alkoholproblem haben. «Aber die Ergebnisse werden uns zeigen, wer recht hat: die Studie oder meine Skepsis», sagt der Delir-Spezialist.
Die Studie am Basler Unispital dauert voraussichtlich noch bis 2027. Erste Resultate sind frühestens in einem Jahr zu erwarten.