Der Bundesrat will eine dritte Welle verhindern – und schickt trotzdem einen Öffnungsplan in die Vernehmlassung. Ist das Risiko kalkulierbar oder droht die Schweiz, die Erfolge bei der Eindämmung der Pandemie leichtfertig zu verspielen? Antworten von SRF-Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler.
SRF News: Wie schätzen Sie dies aus wissenschaftlicher Sicht ein: Sind die Fallzahlen am 22. März so, dass man öffnen kann?
Thomas Häusler: Wenn man die aktuell steigenden Fallzahlen betrachtet und auch ins Ausland schaut, dann sehr wahrscheinlich nicht. Auch in Italien, Österreich oder Deutschland herrscht die ansteckendere Variante B.1.1.7 wie bei uns vor und die Fälle nehmen zu.
Der Bundesrat hat durchblicken lassen, dass er dies auch befürchtet. Die wissenschaftliche Taskforce und die ETH Zürich haben Modellrechnungen für den Bundesrat erstellt. Sie kommen zum Schluss, dass eine dritte Welle kaum zu vermeiden ist. Wir können aber ihre Grösse steuern.
Der Bundesrat sagte, inzwischen seien viele Risikopersonen geimpft, andere immun. Eine dritte Welle sei damit nicht vergleichbar mit den beiden Wellen davor. Sehen Sie das auch so, ist das Risiko kalkulierbar?
Vergleichbar sind die Wellen in der Tat nicht. Vermutlich ist bei den schweren Erkrankungen und den Todesfällen bereits ein positiver Effekt zu sehen, weil einige Risikopersonen schon geimpft sind. Dieser Effekt ist aber noch zu klein, um schnell und ohne Überlastung der Spitäler zu öffnen – und damit erneut viele Tote zu riskieren.
Solange die unter 65-Jährigen nicht geimpft sind und es unter ihnen viele Fälle geben würde, ist eine gewisse Zahl an schweren Verläufen und Langzeitfolgen nicht zu vermeiden.
Die Berechnungen der Taskforce zeigen aber: Wenn nun sehr schnell geimpft werden könnte, hätte das einen beträchtlichen Einfluss auf Hospitalisierungen und Todeszahlen. Eine rasche Impfung würde also vorsichtige Öffnungsschritte ermöglichen. Man darf aber nicht vergessen: Solange die unter 65-Jährigen nicht geimpft sind und es unter ihnen viele Fälle geben würde, ist eine gewisse Zahl an schweren Verläufen und Langzeitfolgen – Stichwort Long Covid – nicht zu vermeiden.
Der Bundesrat setzt auch auf Massentests, um die Öffnungen zu ermöglichen. Halten Sie das für sinnvoll?
Sie können einen Beitrag leisten. Je nach Expertinnen und Experten, mit denen man spricht, ist dieser Beitrag aber unterschiedlich gross. Es gibt Berechnungen, die sagen: Wenn 20 bis 30 Prozent der Menschen regelmässig getestet würden, würde das die Ausbreitung des Virus deutlich verlangsamen.
Kritiker halten das aber für zu optimistisch, weil in der Realität nie alles so gut läuft wie in solchen Modellen. Zum Beispiel steigen viele Freiwillige auch wieder aus diesen Testprogrammen aus. Graubünden, der Pionierkanton bei den Massentests, erreicht diese Woche zum ersten Mal diese Testquote von 20 Prozent der Bevölkerung. Bald können wir die Auswirkung also sehen und wissen mehr.
Das Gespräch führte Karin Britsch.