Die Biathletin Lena Häcki traute sich. Auch die Leichtathletin Angelica Moser redete darüber. Beide sprachen in der Öffentlichkeit über ihre Essstörung. Häcki etwa erzählte, ihr sei im Training schwindlig geworden, weil sie in den Tagen zuvor so wenig gegessen habe und keine Energie mehr hatte.
Beide litten unter Heisshungerattacken. Verbreitet ist auch das Gegenteil: zu hungern, um so leicht wie nur möglich zu werden.
Essstörungen sind heimtückisch: Zuerst kann der Gewichtsverlust positive Effekte haben, sogar die Leistung steigern. Doch nach kurzem folgen gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit, sagt Maja Neuenschwander vom Dachverband Swiss Olympic.
Oftmals werde zuerst der Rückgang in der Leistung wahrgenommen. Und es können gesundheitliche Folgeschäden aufkommen: «Ein Beispiel sind Ermüdungsbrüche und weitere chronische Verletzungen, die nicht weggehen wollen. Bei Frauen ist einer der besten Gesundheitsindikatoren der Ausfall der Menstruation.»
Schmaler Grat zwischen gesund und ungesund
Als langjährige Profi-Langstreckenläuferin weiss die 43-jährige Bernerin aus eigener Erfahrung, wie schmal der Grat im Leistungssport zwischen gesunder und ungesunder Beziehung zum Essen ist.
«Wir versuchen, Athletinnen oder Athleten aufzuzeigen, wie sie sich optimal ernähren sollten. Damit auch erfolgreiche Leistungen möglich sind. Das beinhaltet primär die Sensibilisierung über den eigenen Energieverbrauch und auch über die Energieaufnahme, der es bedarf, damit die Leistung möglich wird.»
Neuenschwander spricht von einem nötigen Kulturwandel, auch bei Betreuungspersonen und Sportorganisationen. Das sieht auch Philipp Wäffler so. Er ist Leiter des Fachbereichs Sportmedizin beim Bundesamt für Sport (Baspo).
In der Trainerausbildung seien Themen wie Essstörungen, Ernährung und Energie wichtig und in sportmedizinischen Kursen verankert. Es gehe vor allem um die Sensibilisierung für das Thema: «Damit sie hinschauen und sich der Problematik bewusst sind. Dann geht es auch darum, sie in der Thematik zu schulen, auszubilden, wie man mit dem umzugehen hat.»
Sozialkompetenz ist wichtig
Wichtig ist laut Wäffler, dass Trainerinnen und Trainer über Essstörungen Bescheid wissen und als nahe Bezugspersonen mit ihren Athletinnen und Athleten darüber sprechen können. «Einerseits schulen wir sie, wie schützen und unterstützen sie sie? Auf der anderen Seite sind unsere Trainerinnen und Trainer ein wichtiges Bindeglied, um die Athletinnen und Athleten, die eine Essstörung haben, mit den richtigen Fachpersonen in Verbindung zu bringen.»
Sowohl Wäffler als auch Neuenschwander begrüssen eine offene Diskussion über Essstörungen im Spitzensport. Wobei Neuenschwander anmerkt, dass nur geholfen werden könne, wenn die eigene Erkenntnis da sei: «Ich glaube, ohne die Bereitschaft der Athletinnen und Athleten ist es kaum möglich, hier eine Veränderung erwirken zu können.» Auch wichtig seien der Austausch mit Fachpersonen und die eigene Reflexion.
Derzeit arbeiten Swiss Olympic und das Baspo an einem Wertesystem, um Essstörungen im Schweizer Sport verhindern zu können. Biathletin Lena Häcki und Leichtathletin Angelica Moser haben dank Therapien Fortschritte gemacht. Auch, weil sie sich getraut haben, ein Tabu zu brechen und über Essstörungen zu sprechen.