Am Wochenende war die Empörung gross, als die New York Times enthüllte, wie das US-amerikanische Start-Up «Clearview» angeblich Milliarden von Fotos aus dem Internet gesaugt hat. Gestern hat nun gar der Eidgenössische Datenschützer (EDÖB) dazu Stellung genommen.
Für Strafverfolgungsbehörden ist diese Datensammlung offensichtlich ein Segen. Denn mittels automatischer Gesichtserkennung lassen sich vormals unbekannte Personen plötzlich identifizieren. So funktioniert es: Die Polizei will einen Mann, der beispielsweise an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen hat, ausfindig machen.
Sie lädt sein Foto in die Clearview-Applikation. Diese macht einen Abgleich mit den Fotos, die sie aus dem Internet gesaugt hat, und spuckt der Polizei die ähnlichsten Gesichter aus. Möglicherweise findet sich unter diesen Treffern die gesuchte Person – inklusive Klarname und weiteren identifizierenden Details. Die Polizei kann nun weiter ermitteln: Mit der Gefahr, dass es sich bei den Treffern um Fehler handelt und Unschuldige ins Raster der Strafverfolgung geraten.
Ohne Identitätsangaben geht's nicht
Für eine solche Gesichts-Suchmaschine braucht es drei Dinge: 1. Eine funktionierende automatische Gesichtserkennung. Das ist heute gegeben, die Technologie ist frei verfügbar. 2. Ein ausreichend gutes Foto von einem Gesicht in Kombination mit 3. identifizierenden Angaben wie dem Namen und dem Wohnort.
So nutzen beispielsweise viele bei Facebook ein Porträtfoto als Profilbild. Zudem verwenden die meisten Nutzerinnen und Nutzer den richtigen Namen – und kein Pseudonym. Das sind brauchbare Angaben, um eine Datenbank wie die von Clearview zu füllen.
Punkt eins liegt ausserhalb unserer Kontrolle. Die Regulierung der Technologie und deren Einsatz wird Behörden und Regierungen noch jahrelang beschäftigen. Bei Punkt zwei und drei können wir aber bis zu einem gewissen Grad selber aktiv werden: Indem wir keine Fotos von uns in Kombination mit unserem Namen ins Internet laden. Bei Plattformen wie Facebook haben wir das selber in der Hand.
Soziale Netzwerke ermöglichen neue Form der Überwachung
Der Datenschutzbeauftragte Adrian Lobsiger riet der Bevölkerung gestern, in den betreffenden Plattformen die «Zugänglichmachung von Fotomaterial für Suchmaschinen zu unterbinden». Das soll die Verwendung durch Akteure wie Clearview unterbinden.
Tatsache ist aber auch: Was den eigenen Rechner verlässt, liegt nicht mehr in unserer Kontrolle. Plattformen wie Facebook, so gross sie auch sein mögen, können trotzdem abgesaugt (wie im aktuellen Fall durch Clearview), gehackt, verkauft oder unter politischen Druck gesetzt werden. Allen Privatsphäre-Beteuerungen zum Trotz.
Automatische Gesichtserkennung hat ihre technologische Reife bereits vor einiger Zeit erlangt. In Kombination mit der massenhaften Verfügbarkeit von Identitätsdaten ermöglicht sie nun eine neue Form der Überwachung, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
Investigativer Journalismus, Technologie-Regulierung und griffige Datenschutzgesetze können uns davor warnen beziehungsweise ansatzweise bewahren. Dieser Fall zeigt aber einmal mehr: Am Schluss fahren wir eben doch am besten, wenn wir möglichst wenig von uns preisgeben.