Tausende Babys und Kinder aus Sri Lanka wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren von Paaren in Europa adoptiert. Die wenigsten dieser Adoptionen verliefen korrekt. Viele Kinder erhielten eine falsche Identität, wurden verkauft oder gar gestohlen.
Die Behörden schauten grossmehrheitlich weg – auch in der Schweiz. Zu diesem Schluss kam im Februar 2020 eine Untersuchung der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), die der Bund in Auftrag gegeben hatte.
Kein Adoptionsverfahren war rechtens
Untersucht wurden auch 28 Adoptionsdossiers aus dem Kanton St. Gallen. Keines entsprach den Vorgaben der damals gültigen Gesetze. Der Kanton wollte es deshalb genau wissen und gab im Sommer 2020 als erster Kanton einen umfassenden eigenen Forschungsbericht in Auftrag. Dessen Resultate zeigen nun: Das Ausmass der Verfehlungen der Behörden ist gravierend. Zwischen 1973 und 2002 wurden im Kanton St. Gallen 85 Kinder aus Sri Lanka adoptiert. Kein einziges dieser Adoptionsverfahren verlief vollkommen rechtens.
Im Kanton St. Gallen wurden nach dem Kanton Zürich schweizweit am meisten Kinder aus Sri Lanka adoptiert. «Die Regierung anerkennt die Verantwortung für die Verfehlungen und für diese Versäumnisse. Wir unterstützen die Betroffenen weiterhin bei der Herkunftssuche und bei der Bewältigung der Schwierigkeiten, die eine erfolglose Herkunftssuche mit sich bringt», sagt Regierungsrätin Laura Bucher.
Das interdisziplinäre Forschungsteam der Universität Bern hatte Zugang zu sämtlichen Verfahrensunterlagen. Für jedes adoptierte Kind erstellten sie ein digitales Dossier. «Die Auswertung zeigt, dass die involvierten kommunalen und kantonalen Behörden über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg damals geltende gesetzliche Vorschriften in hohem Mass nicht umsetzten», heisst es im Bericht.
Aufsichtspflichten seien verletzt und Verfahrensfehler begangenen worden. Zudem hätten die Behörden sämtliche Anzeichen dafür ignoriert, dass die Adoptionen in Sri Lanka ein grosses Geschäft gewesen seien. Es habe damals bereits Medienberichte über «Baby-Farmen» in Sri Lanka und kritische Stimmen innerhalb der Behörden gegeben, doch diese seien ausgeblendet worden.
Mehr finanzielle Unterstützung für Betroffene
Der Verein «Back to the Roots», der die Anliegen der Betroffenen in der Schweiz vertritt und sie bei der Suche nach ihren leiblichen Eltern unterstützt, zeigt sich betroffen von den Ergebnissen des neuen Forschungsberichts. Gleichzeitig begrüsst er «die Bereitschaft der Regierung des Kantons St. Gallen, die adoptierten Personen auf ihrem Weg zu unterstützen».
Weil dem Kanton St. Gallen im Gesamtkontext eine besondere Rolle zufalle, fordert der Verein langfristige finanzielle Unterstützung. Es brauche dringend eine gesamtschweizerische Aufarbeitung aller Adoptionen sowie eine national einheitliche Koordinationsstelle zur Herkunftssuche. Der Bund hat dem Verein derweil im Mai finanzielle Unterstützung zugesagt. Bis 2024 soll er jährlich bis zu 250'000 Franken erhalten.