Am Wochenende haben die Menschen in der Schweiz die Freibäder gestürmt und belagert, auch See- und Flussufer waren voll. Leider blieb es nicht immer beim schönen Schwumm. Mindestens sieben Menschen sind in Schweizer Flüssen und Seen in den letzten Tagen ertrunken. Das melden die Polizeidienststellen. Warum kommt es zu diesen Ertrinkungsunfällen? Und wie sieht die Unfallprävention aus? Das beantwortet Reto Abächerli. Er ist Geschäftsführer der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft SLRG.
SRF News: Warum sind in den letzten Tagen so viele Menschen ertrunken?
Reto Abächerli: Es ist eine Mischung zwischen dem Wetter; viel mehr Leute sind rund ums Gewässer. Es ist dann eine Frage der Wahrscheinlichkeit, dass leider auch Unfälle geschehen. Und daneben sind diese hohen Temperaturunterschiede zwischen Aussentemperatur und Wassertemperatur.
Welche Rolle spielt Corona bei den Badeunfällen? Während der Pandemie waren viele Schwimmbäder nicht geöffnet. Haben die Leute Nachholbedarf?
Ich glaube kaum, dass es eine Rolle spielt, dass viele Leute wegen Corona letztes Jahr keinen Schwimmunterricht geniessen durften; und jetzt gehen sie wieder ins Wasser und haben Kompetenzen verlernt. Das ist wie Fahrrad fahren. Es ist viel Wissen über die Gefahren da. Auch die Selbsteinschätzung hat sich in diesen ein oder zwei Jahren nicht wesentlich geändert.
Schwimmkurse wurden abgesagt. In Schulen ist der Schwimmunterricht ausgefallen. Machen die Schulen genug, damit Kinder auch wirklich schwimmen können?
Wir haben Kontakte mit den Kantonen, einzelnen Lehrpersonen und einzelnen Schulleitungen. Die zeigen mir, dass das Bewusstsein für das Thema und auch der Wille da sind. Ich glaube, nach bestem Wissen und Gewissen wird sehr viel gemacht. Das heisst nicht, dass es nicht Potenzial gibt.
Nicht alle Gemeinden setzen die Vorgaben bezüglich Schwimm- und Wassersicherheit um.
Wir wissen auch, dass längst nicht in allen Gemeinden sämtliche Vorgaben des Lehrplans 21 bezogen auf Schwimm- und Wassersicherheit umgesetzt werden. Aber es bringt auch nicht wahnsinnig viel, fordernd aufzutreten. Wir müssen das im Dialog machen. Es ist eine partnerschaftliche Aufgabe. Wir wollen mitwirken und unterstützen.
Es fehlt an verschiedenen Schulen an Infrastrukturen. Auf politischer Ebene in der Schweiz sind Schwimmen und das Retten von Leben im Wasser quasi kein Thema. Ist dies der Politik zu wenig wichtig?
Ich glaube nicht, dass wir per se zu wenig Schwimm- oder Wasserfläche haben, auch gedeckte Wasserfläche im Pool. Es ist wichtig, dass man die bestehende Wasserfläche unterhält und dass sie bleibt. Auch erscheint uns wichtig, dass andere Lernorte erschlossen werden. Beispielsweise eine sichere Umgebung am See. Die Lehrpersonen sollten mit den Schülerinnen und Schülern dorthin gehen. Das wäre für die Ertrinkungsprävention sehr wertvoll. Denn die meisten der tödlichen Ertrinkungsunfälle – weit über 90 Prozent – geschehen in Flüssen und Seen – und nicht in Pools.
Ihre Zahlen gehen davon aus, dass jährlich 50 Personen ertrinken. Müsste man zu kreativeren Lösungen greifen? Zum Beispiel noch mehr Bademeisterinnen oder Personen des Zivilschutzes an neuralgischen Punkten wie zum Beispiel an Ufern?
Ich zweifle an der Umsetzung und der Wirksamkeit daran. Die Leute in der Schweiz bewegen sich sehr viel an Seen und Gewässern. Es ist fast unmöglich, überall mit Aufsicht zu arbeiten. Abgesehen davon muss man immer auch zuerst realisieren, dass jemand in Not ist. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.
Das Gespräch führte Yves Kilchör.