Unternehmer Manuel Wiesner von der Familie Wiesner Gastronomie stand plötzlich vor einem Problem, als er seine Restaurantkette auf bargeldloses Zahlen umstellte: Plötzlich tauchte Trinkgeld in der Buchhaltung auf. Er holte sich Rat bei Juristinnen, schrieb Behörden an. Bald wurde ihm klar: Um Trinkgeld rechtlich sauber abzurechnen, musste er dies wie Lohn seiner Angestellten behandeln.
Das hat drei Hauptkonsequenzen:
- Trinkgeld steht auf dem Lohnausweis, muss also versteuert werden.
- Auf Trinkgeld müssen Abzüge von Sozialversicherungen wie die AHV gemacht werden.
- Als Arbeitgeber muss auch er Beiträge für die Sozialversicherungen auf Trinkgeld zahlen.
In den 31 Restaurants mit gegen Tausend Angestellte kosten ihn allein diese Beiträge eine halbe Million Franken pro Jahr. «Klar eine halbe Million ist viel Geld, aber wenn wir sehen, dass unsere Mitarbeiter sonst schlecht versichert sind und finanzielle Problem bekommen bei Unfall, Krankheit oder Arbeitslosigkeit, dann machen wir das.»
Pro Jahr über eine Milliarde Franken
Dabei geht es um viel Geld. Offiziell hat die Schweizer Gastronomie Trinkgeld zwar vor 50 Jahren abgeschafft, seither der Service inbegriffen, doch gemäss einer Auswertung des Swiss Payment Monitors der ZHAW und Universität St. Gallen für die «Tagesschau» werden im Schnitt rund 8.5 Prozent der Rechnung als Trinkgeld bezahlt. Hochgerechnet ist das pro Jahr über eine Milliarde Franken.
Was bis jetzt häufig unter der Hand funktionierte, taucht jetzt, weil immer mehr Gäste mit Karte zahlen, plötzlich in Buchhaltungen auf und wird für viele Gastronomen und die Behörden zu einem Problem. Verstecken funktioniert nicht mehr.
Die heutige Praxis ist eigentlich illegal.
Gastrounternehmer Wiesner halte sich ans Gesetz, sagt der emeritierte Professor für Arbeitsrecht Thomas Geiser der Universität St. Gallen, denn «die heutige Praxis ist eigentlich illegal. Sie hat sich entwickelt, weil man davon ausgegangen ist, dass nur noch wenig Trinkgelder bezahlt werden. Doch das stimmt in der Wirklichkeit nicht. Trinkgelder sind häufig.»
Dies erkläre die Untätigkeit der Behörden und natürlich auch der Umstand, dass Trinkgeld, solange es bar bezahlt wurde, quasi unter der Hand floss. Es tauchte in keiner Buchhaltung auf, wie viel genau bezahlt wurde, blieb im Dunkeln. Dabei fliesse gerade in städtischen Gebieten reichlich Trinkgeld, bestätigen verschiedene Experten.
Risiko bei nächster AHV-Kontrolle
Gastronominnen und Gastronomen, die beim Trinkgeld trotz Kartenzahlungen weiter wegsehen wie bisher, drohten bei Kontrollen sehr hohe Nachzahlungen, sagt Arbeitsrechtsprofessor Geiser: Sie müssen dann Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge bezahlen, also über zehn Prozent ihrer Lohnsumme und das rückwirkend bis zu fünf Jahren. Der Branchenverband Gastrosuisse schreibt der «Tagesschau», Trinkgeld sei für ihn kein Lohnbestandteil. Ein Interview lehnt er ab.
Für den Arbeitsrechtsprofessor hingegen ist klar: Wer das Trinkgeld für Angestellte nicht so behandle wie Lohn, so wie Manuel Wiesner, riskiere bei einer nächsten AHV-Kontrolle zur Kasse gebeten zu werden und sehr hohe Rückforderungen bezahlen zu müssen.