Schweizweit dürften es mehr als 10'000 Wohnungen sein, die derzeit nicht gebaut oder saniert werden können. Grund ist ein Urteil aus dem Jahre 2016. Das Bundesgericht hatte die Praxis beim Lärmschutz damals verschärft und der sogenannten «Lüftungsfensterpraxis» einen Riegel geschoben. Diese hatten bis dahin viele Kantone angewandt, um auch an «lauten» Lagen bauen zu können.
Alleine in der Stadt Zürich liegen aus diesem Grund mehrere Grossprojekte mit Hunderten von Wohnungen an lauten Lagen auf Eis. Darunter auch viele Genossenschaftsüberbauungen. Und dies in einer Zeit, in der dringend neuer Wohnraum benötigt wird. Auch die Stadtzürcher Bevölkerung empfindet dies neuerdings als dringendstes Problem.
Der Ständerat will deshalb den Lärmschutz lockern, wie er diese Woche entschieden hat. So sollen Wohnungen auch an Orten gebaut oder saniert werden können, wo Lärm-Grenzwerte überschritten werden. Es soll künftig genügen, wenn bei der Hälfte der lärmempfindlichen Räume – also zum Beispiel Schlafzimmer – die Lärmschutzgrenze an nur jeweils einem Fenster eingehalten wird.
Bei der ABZ, der grössten Wohnbaugenossenschaft der Schweiz mit über 5000 Wohnungen im Grossraum Zürich, freut man sich, dass Bewegung in die Sache kommt. «Diese neue Regelung ermöglicht uns klar, mehr bezahlbaren Wohnraum für mehr Menschen zu bauen», sagt ABZ-Präsidentin Nathanea Elte.
Doch ausgerechnet von den Städten, die besonders betroffen sind von dieser Lärmschutzpraxis, gibt es Widerstand gegen diese neue Lösung. Sie fordern viel eher weitere Massnahmen, um den Lärm zu reduzieren.
Städte wollen lieber Tempo 30
Die Lockerungen des Lärmschutzes, die der Ständerat beschlossen hat, gehen dem Zürcher Hochbauvorsteher André Odermatt (SP) deutlich zu weit: «Der Schutz der Bevölkerung vor Lärm steht für uns immer an erster Stelle», sagt er. Man müsse den Lärm zuerst an der Quelle bekämpfen.
Im Vordergrund steht hier besonders Tempo 30. Damit könne man den Lärm am effektivsten reduzieren, schreibt auch der Schweizerische Städteverband in einer Stellungnahme zum Ständeratsentscheid. Der motorisierte Strassenverkehr sei für 80 Prozent der Lärmemissionen verantwortlich.
Alte Lösung dürfen sie nicht, die Neue wollen sie nicht
Doch dem Städteverband ist auch bewusst, dass Tempo 30 nicht überall zu einer Lärmreduktion führt. Bei diesen Wohnobjekten plädieren die Städte für jene Lösung, die das Bundesgericht 2016 gestoppt hatte – die «Lüftungsfensterpraxis». «Diese Regelung würde den Bau vieler Wohnungen möglich machen, aber auch dem Lärmschutz Rechnung tragen», sagt auch der zuständige Zürcher Stadtrat André Odermatt.
Wir haben Wohnungsknappheit und müssen nun etwas unternehmen, damit mehr gebaut werden kann
Diese Haltung stösst beim Hauseigentümerverband Zürich auf Unverständnis. Direktor Albert Leiser sagt: «Wir haben Wohnungsknappheit und müssen nun etwas unternehmen, damit mehr gebaut werden kann.» Und dies sei wichtiger als Tempo-30-Zonen, so Leiser. Er begrüsse die Lockerungen, die der Ständerat diese Woche beschlossen hat.
Ob diese den Weg aber auch tatsächlich ins Gesetz finden, zeigt sich voraussichtlich erst im Frühling. Dann berät der Nationalrat das Geschäft.