Wer schwer krank ist, möchte mit dem besten Medikament behandelt werden, das es gibt. Und das so schnell wie möglich. Darum ermöglicht die Schweiz Patientinnen und Patienten seit 2019 einen schnelleren Zugang zu neuen Medikamenten. «Befristete Zulassung» bedeutet, dass Medikamente noch vor Abschluss aller Studien – auf maximal zwei Jahre befristet – zugelassen werden können.
Gemäss Heilmittelgesetz handelt es sich um «Arzneimittel gegen Krankheiten, die lebensbedrohend sind oder eine Invalidität zur Folge haben». Hauptsächlich geht es um neue Krebstherapien. In der Corona-Pandemie wurden in der Schweiz auch Covid-Impfstoffe nach diesen Regeln befristet zugelassen.
Fokus auf dem Prinzip Hoffnung
Nun zeigt sich, dass die befristete Zulassung dieser Arzneimittel in der Mehrheit der Fälle auf dem Prinzip Hoffnung beruht. Kerstin Noëlle Vokinger, Professorin für Gesundheitsrecht an der Universität Zürich, hat gemeinsam mit ihrer Doktorandin Camille Glaus und Forschenden der amerikanischen Harvard University untersucht, wie viele der befristet zugelassenen Medikamente zum Zeitpunkt ihrer Zulassung einen hohen therapeutischen Nutzen aufweisen.
Das Resultat, das sie in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift «JAMA Health Forum» publiziert hat, ist ernüchternd. In den USA weisen nur gerade 39 Prozent dieser Medikamente einen hohen therapeutischen Nutzen auf, in der EU sind es 38 in der Schweiz 8 Prozent.
Wenn der Nutzen unklar ist, stellt sich die Frage: Wie soll der Preis aussehen?
Die Schweizer Zahl ist mit Vorsicht zu geniessen, da in der Schweiz erst wenige Medikamente befristet zugelassen wurden, aber sie bestätigt die Problematik, die Studienautorin Kerstin Vokinger so formuliert: «Ein Problemkreis ist, dass Patientinnen und Patienten Zugang haben zu Arzneimitteln, die potenziell nicht wirken oder mit grossen Nebenwirkungen verbunden sein können. Ein weiterer Problemkreis ist die Preisfestsetzung. Wenn der Nutzen unklar ist, stellt sich die Frage: Wie soll der Preis aussehen?»
Tiefere Preise wegen Datenunsicherheit
Vokinger betont, sie finde das Instrument der befristeten Arzneimittelzulassung grundsätzlich sinnvoll. Wenn aber der Nutzen der Arzneimittel zum Zeitpunkt der befristeten Zulassung derart unsicher sei, müsse sich das auch in tieferen Preisen niederschlagen.
Sie regt eine Gesetzesänderung an, die dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) erlauben würde, die Datenunsicherheit in den Preisverhandlungen mit den Pharmaherstellern einzukalkulieren: «Die pharmazeutischen Unternehmen profitieren davon, dass Arzneimittel noch mit unreifen Daten auf den Markt kommen können, wo der Nutzen noch nicht klar ist. Das soll auch im Preis reflektiert werden. Die Gesellschaft soll nicht einen sehr hohen Preis dafür zahlen, wo noch unklar ist, was der Nutzen ist.»
Hauptsächlich Krebsmedikamente
Das BAG bestätigt auf Anfrage, es bestehe «tatsächlich das Risiko, dass ein Medikament vergütet wird, das gar nicht wirkt oder viele Nebenwirkungen verursacht.» Immerhin könne das BAG bei solchen Medikamenten ein «Vorleistungsmodell» einsetzen: «Das Pharmaunternehmen stellt die Therapie kostenlos zur Verfügung, bis der Arzt bestätigt, dass es tatsächlich wirkt. Erst sobald klar ist, dass das Medikament wirkt, wird das Arzneimittel von der Krankenkasse vergütet.»
Doch auch mit diesem Modell werden noch sehr hohe Preise bezahlt. Gemäss BAG sind es hauptsächlich Krebsmedikamente, die befristet zugelassen werden. Und für diese würden «sehr oft Preise über 100'000 Franken pro Patient und Jahr beantragt».
Die Juristin und Medizinerin Kerstin Vokinger hat in ihrer Studie übrigens nicht nur den Nutzen der betreffenden Medikamente zum Zeitpunkt der Zulassung untersucht, sondern – wo vorhanden – auch den therapeutischen Nutzen nach Vorliegen von zusätzlichen Daten. Auch da habe sich nur etwa bei 40 Prozent der Arzneimittel ein hoher Nutzen gezeigt. Angesichts der wachsenden Krankenkassenprämien dürften die Kosten für die befristet zugelassenen Medikamente auch politisch diskutiert und die Frage gestellt werden, wie viel das Prinzip Hoffnung kosten darf.