Nach sechs vergeblichen Anläufen hat es nun beim siebten Investor geklappt: Das seit 2005 geschlossene Grand Hotel Locarno in der Gemeinde Muralto soll renoviert werden. Die Immobiliengruppe Artisa, die durch Stefano Artioli und seinen Sohn Alain Artioli kontrolliert wird, will das 1876 eröffnete Hotel denkmalgerecht sanieren. Damit könnte das Grand Hotel Zeugnis des touristischen Aufschwungs in Locarno, aber auch der Anfänge des Filmfestivals bleiben.
Tessin wird zum begehrten Reiseziel
Das Grand Hotel hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Es wird 1874 fast gleichzeitig mit dem Bau des Gotthard-Eisenbahntunnels und der Eröffnung des Bahnhofs Locarno fertiggestellt.
Bau des Gotthardtunnels und des Bahnhofs Locarno
-
Bild 1 von 8. Am 13. September 1872 beginnt der Bau des Gotthardtunnels. Arbeiter posieren vor dem Richtstollen-Eingang in Airolo. Bildquelle: Adam Gabler, Johann .
-
Bild 2 von 8. Zu Höchstzeiten arbeiten in Göschenen 1645 Arbeiter, in Airolo 1302. Die vorwiegend italienischen Männer werden finanziell ausgebeutet. Ein Mineur verdient pro Tag etwa 3.90 Franken. Zwei Drittel davon werden für Essen und Unterkunft abgezogen. Zudem zahlen sie monatlich für Kleidung und die Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz. Bildquelle: «Unser Gotthard» / Lüönd, Karl; Iten, Karl.
-
Bild 3 von 8. Während der Bauarbeiten des Gotthardtunnels sterben 199 Arbeiter. Das sind 13,3 Opfer pro Kilometer Tunnel. Je ein Drittel der Verunglückten werden von Wagen oder Lokomotiven zerquetscht, von Felsen erschlagen oder durch Dynamit zerfetzt. Bildquelle: Bärtschi, Hans-Peter.
-
Bild 4 von 8. Nach sieben Jahren und fünf Monaten erfolgt am 29. Februar 1880 der Durchstich. Die Abweichungen betragen seitlich nur 33 Zentimeter und 5 Zentimeter in der Höhe – für die damalige Technik eine Meisterleistung. 1882 wird der rund 15 Kilometer lange Tunnel feierlich eingeweiht. Bildquelle: ANNO Zeitung.
-
Bild 5 von 8. Das Grand Hotel Albergo Palace in Locarno wird von 1874 bis 1876 gebaut. (1929). Bildquelle: Mittelholzer, Walter.
-
Bild 6 von 8. Über die Jahre gingen zahlreiche Prominente aus aller Welt hier ein und aus. (1946). Bildquelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz / Friedli, Werner.
-
Bild 7 von 8. Der Bahnhof in Locarno wird am 20. Dezember 1874 eröffnet. Züge aus der Deutschschweiz erreichen durch den Gotthardtunnel die Grenzstadt. Im Vordergrund des Bildes steht das Grand Hotel. Bildquelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz / Friedli, Werner.
-
Bild 8 von 8. Der einstige Prunkbau steht heute leer - und ist beliebt bei Grusel-Fans, die sich in das verlassene Hotel wagen. Bildquelle: Martial Trezzini.
Mit der Eisenbahnverbindung werden Locarno und das Tessin zum begehrten Reiseziel. Gerade in den Wintermonaten reisen viele Deutschschweizer in den Südkanton. Das nach den Plänen des Architekten Francesco Galli erbaute Hotel galt damals als Inbegriff des touristischen Aufstiegs.
Friedenskonferenz und Glamour
1925 findet im Grand Hotel eine internationale Friedenskonferenz statt. Vertreter der Sieger- und Verlierermächte des Ersten Weltkrieges logieren im Grand Hotel und unterzeichnen im Gerichtssaal der Stadt die Verträge von Locarno. Das damals luxuriöse Ambiente und der grosszügige Park vor dem Grand Hotel werden Treffpunkt der Filmschaffenden, als 1946 hier das internationale Filmfestival von Locarno gegründet wird.
Blick zurück aufs Film Festival Locarno
-
Bild 1 von 5. Ein Festivalmitarbeiter schlägt auf der Piazza Grande in Locarno das Programm an. Die grosse Leinwand ist bereits errichtet. Das 27. Filmfestival Locarno steht bevor. (1974). Bildquelle: Keystone.
-
Bild 2 von 5. Zuschauer des Filmfestivals Locarno auf der Piazza Grande. Die Nicht-VIP-Plätze sind bereits von Festivalbesuchern besetzt. (1989). Bildquelle: Keystone.
-
Bild 3 von 5. Das Locarno Film Festival lockt Stars aus der ganzen Welt ins Tessin. So zum Beispiel die französische Schauspielerin Emmanuelle Riva am 18. Internationalen Filmfestival in Locarno. (1965). Bildquelle: Keystone.
-
Bild 4 von 5. Die Bundesräte Adolf Ogi und Flavio Cotti mit dem Verkehrsverein-Direktor des Kantons Tessin Marco Solari während des 41. Film Festivals von Locarno. (1988). Bildquelle: Keystone.
-
Bild 5 von 5. Die Schauspielerin und Sängerin Ingrid Caven spielte die Hauptrolle in dem Film «Hors Saison» des Schweizer Regisseurs Daniel Schmid. (1992). Bildquelle: Keystone.
Das Filmfestival findet bis 1970 unter freiem Himmel im Hotelpark statt, bevor es 1971 auf die Piazza Grande umzieht. Aber auch danach bleibt das Hotel Treffpunkt für Regisseure, Filmfans und Schauspieler. Immer wieder erscheinen auch weltbekannte Filmstars wie 1960 Marlene Dietrich. Da es ihr vertraglich nicht erlaubt war, etwas zu sagen, blieb es ein stummer Auftritt.
Gut erhaltene ursprüngliche Substanz
Vom einstigen Glanz des damaligen Prunkbaus ist bei der Schliessung 2005 nicht mehr viel übrig. Zuletzt sei es wohl das einzige Zwei-Sterne-Grand-Hotel der Schweiz gewesen, scherzt Marco Solari, Präsident des Locarno Film Festivals. «Das Aus war ein schwerer Schlag für das Filmfestival», denn dieses sei mit dem Grand Hotel gewachsen und Dreh- und Angelpunkt dessen gewesen, sagt Solari.
Dass die letzten Besitzer sich nicht zur dringend nötigen Renovation durchringen konnten, sei ein Glücksfall für das Hotel gewesen, sagt der Investor Stefano Artioli. Es sei wohl eines der wenigen Grand Hotels der Schweiz, das in seinem Ursprung erhalten geblieben ist.
So hängt noch immer über mehrere Stockwerke der riesige Murano-Glas-Kronleuchter, der es ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft hat. Auch Türrahmen, Stuckaturen sowie Malereien unter dem nachträglich aufgetragenen Verputz seien ursprünglich. Diese Originalität will Artioli erhalten und fachgerecht restaurieren. Der Tessiner Natur- und Heimatschutzverein hat Rekurs gegen die Baupläne eingereicht. So wollen sie den neuen Besitzer bei der Restaurierung der denkmalgeschützten Substanz in die Pflicht nehmen.