Pflegende schlagen Alarm: Der Druck nimmt zu, die Zeit für Patientinnen und Patienten wird immer knapper. Stress und Übermüdung führen zu Fehlern. Fehler, die ernsthafte Folgen haben können. Doch das ist nicht erst seit der Corona-Pandemie so: Eine aktuelle Datenanalyse, die «Kassensturz» und «K-Tipp» exklusiv vorliegt, belegt, dass bereits 2016 bis 2018 viele Spitäler über zu wenig Pflegefachpersonal verfügten.
Die Datenanalyse basiert auf der Anzahl Pflegestunden, die in einem Spital geleistet werden. Daraus ergibt sich eine optimale Anzahl von Pflegenden, die für eine gute und sichere Pflege nötig wären. Diese errechnete Zahl wird dann verglichen mit der tatsächlichen Anzahl der Pflegerinnen und Pfleger im Spital.
Nur 78 Prozent des Personalbedarfs gedeckt
Ergebnis der Auswertung: Ein Fünftel der rund 130 Akutspitäler in der Schweiz sind beim Pflegepersonal unterdotiert. Maria Schubert, Pflegewissenschaftlerin der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), ist Spezialistin für Pflege in der Akutversorgung. Sie hat für «Kassensturz» die Auswertung unter die Lupe genommen. Laut Schubert zeigen die Zahlen, dass rund 20 Prozent der Akut-Spitäler zu wenig Pflegende angestellt haben.
«Das weist auf gewisse Missstände hin. Diesbezüglich ist es wichtig, Hinweise von Pflegenden ernst zu nehmen, denn sie erkennen, wenn etwas schiefläuft, wenn zu wenig Personal vorhanden ist», erklärt die Wissenschaftlerin. Studien zeigen dann auch: Personalmangel ist schnell teurer als zusätzliches Pflegepersonal. Unmittelbar leiden Patienten.
Laut Experten-Auswertung weisen 16 der grossen und sehr grossen Akutspitäler in der Schweiz, eine Unterdotierung bei Pflegefachkräften aus. Das Spitalzentrum in Brig und das Bethesda-Spital in Basel haben je nur 78 Prozent des errechneten Bedarfs an Pflegepersonal. Bei Maria Schubert läuten da die Alarmglocken: «Als Spitaldirektorin würde ich sofort Massnahmen einleiten.»
Wir weisen den Vorwurf einer Unterdotierung in aller Form zurück.
Das Walliser Spital sieht das anders und schreibt «Kassensturz»: «Wir richten uns nach den Empfehlungen des International Council of Nurses (ICN), und versuchen somit die Nurse-to-Patient-Ratio umzusetzen.» Das Bethesda-Spital zweifelt an der Auswertung: «Wir sind der Meinung, dass die Statistik auf Informationen greift, welche für uns nicht nachvollziehbar sind und die unsere Werte und Praxis nicht repräsentieren. Deshalb weisen wir den Vorwurf einer Unterdotierung in aller Form zurück.»
Das Problem des Pflegenotstandes ist bekannt. Den Spitälern fehlt es aber an Geld.
Pflegewissenschaftlerin Maria Schubert verteidigt die Analyse. Sie sei realistisch und fundiert gemacht. Als Grundlage dienen jene Daten, welche die Spitäler selbst dem Bundesamt für Statistik und dem Bundesamt für Gesundheit melden.
Beim Spitalverband H+ ist das Problem des Pflegenotstandes bekannt. Den Spitälern fehle aber das Geld, um zusätzliches Spitalpersonal einzustellen, argumentierte der Verband letztes Jahr gegenüber «Kassensturz».
Das sagen die Spitäler zur Analyse
Wegen Corona spitzt sich die Lage zu
Was zu denken geben sollte: Die Datenanalyse bezieht sich wie erwähnt auf die Jahre 2016 bis 2018. Die Pandemie-Situation ist darin noch nicht eingeflossen. Der Pflegenotstand hat sich in den Spitälern wegen Corona in den letzten eineinhalb Jahren zusätzlich verschärft. Das Pflegepersonal ist vielfach ausgebrannt, berichten die Betroffenen. Sie spielen mit dem Gedanken einer Kündigung.