Das ist passiert: Bahnhof Zollikofen (BE), 2. Juni 2022, kurz vor Mittag. Ein Lokzug prallt in einen zur Abfahrt bereitstehenden Güterzug – mit 51 Km/h. Die vordere Lokomotive des Lokzug wird auf den hintersten Waggon des Güterzuges gehievt. Der Unfall geht glimpflich aus: Der Lokführer des Lokzugs trägt leichte Schürfungen und Prellungen davon, dem Lokführer des Bauzuges passiert nichts. Die Lokomotiven, die Wagen und deren Ladung sind allerdings erheblich beschädigt.
Das schreibt die Sicherheitsuntersuchtungsstelle Sust
Nicht auszudenken, wenn die Lok auf einen voll besetzen Personenzug aufgefahren wäre – oder auf einen Gefahrguttransport. «Man hatte Glück», sagt denn auch Christoph Kupper, Leiter Bereich Bahnen und Schiffe der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust), die nun den Untersuchungsbericht herausgegeben hat.
So kam es zum Unfall: Laut Bericht hat der Führer des Lokzuges ein «Halt»-Signal übersehen. Kein technisches Sicherheitssystem hat den Zug nach diesem Lapsus gebremst, denn die Zugbeeinflussung hatte der Lokführer in Absprache mit dem Fahrdienstleiter ausgeschaltet. Sie hatte eine Störung.
Das ist das Problem: Der Untersuchungsbericht bringt zutage: «Im Durchschnitt funktioniert auf dem Netz von SBBI (SBB Infrastruktur, die Red.) das Zugbeeinflussungssystem gemäss groben Schätzungen von SBBI täglich bei drei Zügen nicht korrekt.»
Zwar gibt es Vorschriften für einen solchen Fall, «sie wurden aber so weit interpretiert, dass man der Verfügbarkeit – also dem Ausführen der Fahrleistung – eine höhere Priorität beigemessen hat als vielleicht der Sicherheit», wie Kupper sagt. Dies führt gemäss dem Bericht dazu, dass nach Ausfall der Zugbeeinflussung Fahrzeuge noch während 12 Stunden ohne Begleitung durch einen zweiten Lokführer bewegt werden dürfen - allerdings mit verringerter Geschwindigkeit. So war beim Unfall in Zollikofen keine zweite Person im Führerstand der defekten Lok. «In diesem Fall wurden die geltenden Vorschriften zu weit ausgelegt», so denn auch das Fazit von Kupper.
So reagiert die Sust: Die Sust gibt nach dem Unfall klare Empfehlungen ab, um die Sicherheit zu erhöhen, und spielt den Ball der Aufsichtsbehörde zu. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) soll prüfen, wie die Vorgaben beim Ausfall der Zugbeeinflussung angepasst werden müssen, damit das Fahren in einem solchen Fall verhindert wird. Ausserdem sollen Ausfälle der Zugbeeinflussung systematisch dokumentiert werden – was heute nicht geschieht.
So reagiert das BAV: Michael Müller, BAV-Mediensprecher, räumt ein, dass man bisher keine Kenntnis über die Zahl der Züge, die täglich mit einer unzureichenden Zugbeeinflussung durch die Schweiz fahren, hatte. Die Dimension habe ihn «schon etwas überrascht». Die Branche und das BAV hätten aber erkannt, dass sie Anpassungen bei den Vorschriften machen müsse.
Das ist seither passiert: Die BLS hat die Lehren aus dem Vorfall gezogen und die Vorschriften angepasst. «Wenn man in Ausnahmefällen ohne Zugsicherung fährt, muss man als Erstes einen zusätzlichen Lokführer aufbieten. Dann darf der Zug auch nur noch mit stark reduzierter Geschwindigkeit unterwegs sein.» Und dies auch nur für kurze Zeit.
Auch die SBB hat reagiert: «Wenn das System ausfällt, muss eine zweite Person in den Führerstand kommen», so Sprecherin Sabrina Schellenberg.
So geht es weiter: Gesamtschweizerisch sollen die Vorschriften ebenfalls verschärft werden. Momentan läuft die Vernehmlassung der BAV-Vorschläge. Gelten werden sie voraussichtlich ab Mitte 2024, wie BAV-Sprecher Müller gegenüber SRF News sagt.