Historiker und Juristen sitzen in der Untersuchungskommission, die den schwersten Missbrauchsskandal der Schweizer Kapuziner aufklären soll. Ihr Kronzeuge war Daniel Pittet, der nach jahrzehntelanger Traumatisierung das Schweigen brach. «Hochwürden, ich vergebe Ihnen», heisst das Buch, in dem er von hundertfachen Vergewaltigungen durch einen Kapuziner-Mönch berichtet.
Aufsicht versagt auf ganzer Linie
Alexandre Papaux, Präsident der Untersuchungskommission, spricht von «sexuellen Perversionen» des Kapuziners. Doch die Vorwürfe des Abschlussberichts richten sich nicht nur gegen den pädophilen Priester, sondern auch gegen den Kapuziner-Orden. Und gegen das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg. Denn die hätten als Aufsichtsinstanz auf ganzer Linie versagt.
Manchen Mönchen war bekannt, dass sich der Priester am helllichten Nachmittag in einem Zimmer mit einem Jungen einschloss. Sie schöpften Verdacht, unternahmen aber nichts. Der Mönch konnte weiterhin Kinder schänden.
Strafversetzung löst Pädophilie-Problem nicht
Der Bericht wirft der Kirche vor, sie habe mit Strafversetzungen das Missbrauchsproblem lösen wollen. Damit verlagerte sie aber nur den Täter. An anderen Orten konnte der pädophile Mönch neue Opfer ausspähen und sie erneut vergewaltigen.
Der Bericht liest sich zwischendurch wie eine Anklageschrift gegen die Kirche. Denn die blockierte nicht nur eine interne Sanktionierung. Sie weigerte sich auch, mit der Justiz zusammenzuarbeiten.
Fälle noch nicht verjährt – Kirche tut nichts
Es gab durchaus Fälle, die noch nicht verjährt waren. Wären die Behörden alarmiert worden, hätte der pädophile Kapuziner für einen Teil seiner Taten verurteilt werden können.
Bistum und Kapuziner hielten sich auch nicht an die kirchlichen Gesetze. Laut kanonischem Recht müssen Fälle von Pädophile bei der Glaubenskongregation in Rom gemeldet werden, was nicht geschah.
Bistum behinderte Justiz
Auch das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg tat lange Zeit nichts. 2002 versuchte die Kirchenleitung, ein Eingreifen der Justiz zu verhindern. «Das tatsächliche Schicksal der Opfer scheint nicht im Vordergrund zu stehen», schreiben die Gutachter. 2008 wurde ein Dossier nicht der Staatsanwaltschaft übergeben – auch nicht nach einer Hausdurchsuchung am Sitz des Bischofs.
Doch auch der staatlichen Justiz seien Vorwürfe zu machen, hält die Kommission fest. Ein Walliser Richter habe eine Untersuchung 1995 wegen Verjährung abgeschlossen, ohne den pädophilen Priester anzuhören. Womöglich wären bei einem Verhör Details ans Licht geraten.
Kommission entlastet Mauro Jöhri
Eine Art Freispruch stellte die Kommission dem weltweit obersten Kapuziner aus, Mauro Jöhri. Er war knapp zehn Jahre lang Chef der Schweizer Kapuziner. In seiner Amtszeit tat er sich nicht gerade als Chefaufklärer hervor. Aber von Vertuschung könne keine Rede sein, sagte Alexandre Papaux, Präsident der Untersuchungskommission. Jöhri habe «vorbildlich zur Aufklärung beigetragen».
Dieser Persilschein ist insofern wichtig, als der Name des Bündners Jöhri immer wieder fällt, wenn es um einen möglichen Administrator für das Bistum Chur geht. An Ostern 2019 endet die Amtszeit von Bischof Vitus Hounder.
Der Pressesprecher des Bistum Churs, Giuseppe Gracia, war im letzten Jahr bemüht, Jöhri in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Davon kann nach dem Untersuchungsbericht nicht mehr die Rede sein. Die schmutzige Wäsche, die zwischen Chur und Rom gewaschen wurde, strahlt wieder weiss.