Ein erster grober Fehler geschah bereits im ersten Jahr beim Bau des Wagenkastens der neuen Fernverkehrs-Doppelstockzüge (Dosto). Der kanadische Zugbauer Bombardier beauftragte sein Werk im deutschen Görlitz damit, obwohl es dafür nicht ausgerüstet war. Es kam zu einem Konstruktionsfehler, der je nach Einschätzung ein bis zwei Jahre Verzug mit sich brachte. Das zeigen Dokumente, die SRF vorliegen. Bombardier bestreitet diesen Fehler.
Die SBB engagierte externe Berater, um Projekt und Risiken zu analysieren. Eine der Expertisen prophezeite bereits 2013, dass «mit einem Einsatz einer Teilflotte von mindestens 10 Zügen nicht vor Dezember 2018 zu rechnen» sei. Denn: «Bombardier hat als einziges Ziel, den Auftrag wirtschaftlich positiv abzuschliessen und wird dabei alle Mittel ergreifen, um dieses Ziel zu erreichen. Einsicht und Entgegenkommen können aber in keiner Phase der Verhandlungen und der gesamten restlichen Projektlaufzeit erwartet werden.» Es brauche ein Ausstiegsszenario, so die Einschätzung.
Die SBB kam 2013 zum Schluss, die maximalen Strafzahlungen für eine späte Lieferung würden bald erreicht sein, was die Motivation von Bombardier beeinträchtige, die Züge rasch zu liefern.
Eine Einschätzung der Anwaltskanzlei Bär und Karrer beschrieb damals das Dilemma, in dem sich die SBB befand und wohl weiterhin befindet: Um das Projekt zu beschleunigen, müsse sie stärker mit Bombardier kooperieren. Dadurch erhöhe sich aber das Risiko einer Mitverantwortung.
Projekt für Bombardier unrentabel
Bombardier trat kompromisslos auf und erklärte, die SBB hätte den Entwicklungsprozess mit zu vielen Zusatzwünschen verlangsamt. In einem Brief an die SBB schrieb der Konzern im November 2013, die Lieferfristen seien nicht mehr einzuhalten, da die SBB zu viele Änderungswünsche angebracht habe.
Das Projekt sei für Bombardier unrentabel geworden. Zusätzliche Aufwendungen hätten Mehrkosten von 326 Millionen Franken zur Folge. Die SBB müsse sich daran beteiligen. Darüber hat die «Rundschau» damals berichtet.
Anschliessend einigten sich SBB und Bombardier auf neue Lieferfristen. Ob sie sich auch über die 326 Millionen-Forderung geeinigt haben, darüber schweigen sich beide Seiten aus. Bis heute sind sich Bestellerin und Lieferantin nicht einig, wer wem wie viel schuldet.
Sogar zur Fahrtüchtigkeit der Züge bestehen Differenzen. So steht im neusten öffentlichen Statusbericht der SBB: «Aktuell erfüllen die neuen Fahrzeuge aus Sicht der SBB die minimalen Anforderungen für einen schweizweiten Einsatz noch nicht. Die Lieferantin teilt die Einschätzung der SBB nicht.»
Die Saga um den mangelhaften Doppelstockzug könnte noch lange weitergehen. Das ist ein Problem für die SBB, da heute schon das gesamte übrige Rollmaterial auf den Schienen fährt, um den Engpass zu überbrücken, der von der verspäteten Lieferung der Fernverkehrszüge verursacht wird.
Brisanter ist aber: Es bestehen Zweifel darüber, ob die Züge je wie geplant einsetzbar sein werden. Es sind die ersten Doppelstock-Züge weltweit, die mit einer Wankkompensation ausgerüstet sind. Damit sollen sie in den Kurven schneller fahren und die Strecke zwischen Bern und Lausanne in weniger als einer Stunde zurücklegen können. Mehrere Kenner der Materie sind der Meinung, diese Technik werde nie verlässlich einsetzbar sein. Das hätte für die SBB verheerende Auswirkungen, denn im dichten Schweizer Fahrplan haben Verspätungen negative Auswirkungen auf das ganze Netz. Ein früherer Bahnmanager formuliert es so: «Der Zug muss funktionieren, basta.»