Mehr Jugendliche sollen in der Schweiz an Gymnasien gehen, und wer eine Lehre macht, soll eine Berufs- oder Fachmaturität erlangen. Dies fordert Bildungsautor Andreas Pfister im neuen Buch «Neue Schweizer Bildung. Upskilling für die Moderne 4.0.» Der Gymnasiallehrer verweist dabei auch auf die fortschreitende Digitalisierung in der Arbeitswelt.
SRF News: Was ist schlecht an der Berufslehre, wie wir sie heute haben?
Andreas Pfister: Schlecht ist gar nichts an der Berufslehre. Auch ich möchte auf das Paradepferd der Schweizer Bildungspolitik setzen und die Berufsmaturität flächendeckend einführen. Auch soll der akademische Weg wieder moderat wachsen. Da kam in den letzten Jahren zu kurz.
Wollen Sie Jugendliche zu Bildung zwingen, die vielleicht keine Lust mehr auf Schule haben?
Heute spricht ja auch niemand von Zwang, wenn man einen Tag Berufsschule pro Woche absolvieren muss. Wir sind uns vielmehr bewusst, dass es das braucht. Wenn der schulische Anteil in der Lehre ausgebaut und zum neuen Standard wird, wird wohl bald niemand mehr von «zwingen» sprechen.
Auch ich möchte auf das Paradepferd der Schweizer Bildungspolitik setzen und die Berufsmaturität flächendeckend einführen.
Verliert die praktische Intelligenz damit nicht an Wert?
Sie verliert nicht an Wert. Aber es ist eine Tatsache, dass sich die Arbeitswelt insgesamt verändert und die Anteile an der Arbeit vermehrt theoretischer Natur sind: Es geht eher um das Steuern von Maschinen und das Bedienen von Programmen – es geht in eine Richtung, die eine schulische Bildung erfordert. Die praktische Bildung darf nicht vernachlässigt werden, muss aber den neuen Verhältnissen Rechnung tragen.
Sie wollen auch die gymnasiale Maturitätsquote steigern, die seit Jahren bei etwa 25 Prozent liegt. In anderen Ländern ist diese Quote sehr hoch, verbunden mit hoher Jugendarbeitslosigkeit?
Es geht um massgeschneiderte Lösung für die Schweiz. Es nützt nichts, als Schreckgespenst auf arbeitslose Akademiker in südeuropäischen Ländern hinzuweisen. Die Schweiz hat einen ausgeprägten Mangel an Hochqualifizierten, auch an Akademikerinnen und Akademikern und nicht nur an Leuten, die man über den dualen Weg bilden kann. Deshalb müssen Hochqualifizierte auf beide Wege besser gebildet werden.
Es nützt nichts, als Schreckgespenst auf arbeitslose Akademiker in südeuropäischen Ländern hinzuweisen.
Leidet nicht die Qualität des gymnasialen Maturitätsabschlusses, wenn ihn sehr viele machen?
Aus zwei Gründen nicht: Zum einen entsteht Kompetenz und Qualität, indem man die Menschen bildet. Zum anderen denke ich an einen moderaten Anstieg auf etwa 30 Prozent im Jahr 2030.
Wer soll dieses Mehr an Bildung für alle bezahlen?
Die Finanzierbarkeit ist ein Grund, weshalb mein Ansatz häufig angezweifelt wird. Aber wir leben in eine Hochleistungsgesellschaft und Arbeitswelt, die lange Bildungsläufe bedingt. Mit steigenden Bildungskosten ist also zu rechnen, was nicht einfach auf die Betriebe überwälzt werden kann. Für viele Firmen ist es ein Problem, wenn Leute an zwei statt nur einem Tag fehlen. Entsprechend muss die Öffentlichkeit die Betriebe entschädigen. Ich schlage ein «staatliches Lehrgeld» vor, das über die Steuern erhoben wird.
Mit steigenden Bildungskosten ist zu rechnen. Ich schlage ein staatliches Lehrgeld vor, das über die Steuern erhoben wird.
Sie wollen also jetzt eine Maturitätspflicht einführen, wie einst im 19. Jahrhundert die Schulpflicht kam?
An diese Schulpflicht knüpfe ich tatsächlich an und an die oft genannte Chancengerechtigkeit. Sie will auch jene erreichen, die von sich aus nicht an die Schule gehen würden. Diese Schulmüdigkeit gibt es auch heute, einfach im postobligatorischen Bereich. Mein Vorschlag ist also an sich ein Schritt weiter auf diesem altem Weg.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.