Der Putz blättert ab. Die guten Zeiten dieses Hotels in Wildhaus gehören der Vergangenheit an. Einst war das Seminarhotel das Aushängeschild des oberen Toggenburgs. Seit vielen Jahren steht es leer, ist längst zur Ruine verkommen und Anziehungsobjekt für Urban Explorers geworden. Sie sind eine wachsende Community. Wie es der Name verrät – kurz UrbEx – geht es dabei um das Erkunden von verlassenen Orten.
«Lost Places» zu entdecken, ist auch die grosse Leidenschaft von Oliver Dollinger aus Sennwald (SG). Gezielt und schon fast süchtig danach sucht der 46-Jährige diese verlassenen Orte aus und hält sie mit seiner Handykamera fest: «Jeder ‹Lost Place› ist anders und du spürst immer das Kribbeln, weil du nie weisst, was dich erwartet.»
Bekannte Beispiele für sogenannt verlorene Orte seien auch die verlassene Autobahnraststätte am Walensee oder das alte Hardturmstadion in Zürich, ergänzt Oliver Dollinger. Er hat dieses Jahr seine ersten beiden Bildbände herausgegeben, ein dritter Band ist in Planung.
Die Idee dazu sei während der Pandemie entstanden, erzählt Oliver Dollinger dem SRF-Reporter vor der Hotelruine im oberen Toggenburg. Vorträge zu halten, sei in dieser Zeit schwierig geworden. Zur Verwertung des Bildmaterials habe sich ein Büchlein aufgedrängt. Daraus seien wegen des vielen Materials gleich zwei Fotobücher geworden.
Die «Lost Places»-Communities hätte in den letzten paar Jahren einen regelrechten Boom erlebt, so Dollinger. Die Gruppen seien sehr verschieden. Teils würden die geheimnisvollen Orte via Social Media regelrecht gepusht – oder eben unter Verschluss gehalten, so wie er das handhabe. «Zum Schutz der Orte – auch vor Vandalismus – werden sie nicht bekannt gegeben», sagt Dollinger.
Letztlich gehe es um den Nervenkitzel, um die Neugier und die Schönheit des Verfalls. Zu erkennen, wie sich «die Natur alles zurückholt», sei jedes Mal faszinierend. «Die Schattenseiten der Menschheit ziehen mich magisch an», erzählt Dollinger.
Die Geschichten der verlassenen Hotels, alten Tunnels oder verfallenen Villen wollten erlebt und erforscht werden. So wie das ehemalige Sommerhaus von Eva Braun, der letzten Lebenspartnerin von Adolf Hitler, das verlottert irgendwo in einem Wald in Polen steht. Dollinger hat diesen Ort ebenfalls als Urban Explorer besucht.
Bei seinen Expeditionen hinterlasse er ausser seinen Fussabdrücken nichts: «Ich nehme nur meine Fotos mit.» Dollinger kennt mittlerweile über 1000 sogenannte «Lost Places», insbesondere in der Schweiz und in Deutschland. Daneben hat er auch welche in Frankreich, Italien, Kroatien, Belgien oder Polen besucht.
«Areal von Polizei überwacht» oder «Kein Zutritt für Unbefugte»: Diese oder ähnliche Anschriften sind sich die UrbExer gewohnt. Dass sie illegal handeln, gehöre zum Spiel. Oliver Dollinger hatte bei seinen aussergewöhnlichen Entdeckungsreisen bisher zweimal mit der Polizei zu tun. Dabei sei er auf Hausfriedensbruch hingewiesen worden, mit der Bitte, er möge den Ort rasch verlassen.
Die meisten UrbExer reize nicht die Gefahr, sondern das Wandeln auf den Spuren einer geheimnisvollen Vergangenheit. Dunkle Flure, in denen sich die gemusterte Tapete von der Wand schält oder verstaubte Möbel, auf denen Gegenstände liegen, als hätte sie eben gerade erst jemand dort zurückgelassen, da schlägt laut Dollinger jedes Entdeckerherz höher.