Selten hat ein Bundesgerichts-Entscheid so unmittelbare und potenziell massive Auswirkung aufs Portemonnaie der Schweizerinnen und Schweizer: Diese Woche setzten fünf bürgerliche Richter und Richterinnen der Ersten zivilrechtlichen Abteilung die Mietpreise hierzulande um mehrere Hundert Franken pro Wohnung hinauf. Für eine heute 1360 Franken teure Wohnung kann neu – je nach Finanzierungsart – über 2000 Franken verlangt werden. 700 Franken mehr. Wie geht das?
Gemäss Gesetz gibt es keine Marktmiete in der Schweiz
Bei Mietwohnungen gibt es in der Schweiz – wenn der Vermieter sich ans Gesetz hält – keine Marktpreise. Die Politik wollte die Mieter nicht den Gesetzen des Marktes aussetzen, Wohnen ist nicht freiwillig. Deshalb gilt in der Schweiz eine Beschränkung der Renditen auf Mieten. Die Beschränkungsformel aus dem Jahre 1986 hat das Bundesgericht nun massiv entschärft. Es fand, Pensionskassen würden heute mit Mietwohnungen wegen der tiefen Zinsen zu wenig Gewinn machen. Deshalb hat es die Formel für alle Vermieter verändert, sodass Wohnungen künftig beim Mieterwechsel auf einen Schlag um mehrere hundert Franken mehr kosten können. Für Neubauwohnungen gilt das ebenfalls.
Es könnte mehr Leersanierungen geben
Potenziell 800 Millionen Franken jährlich könnte das die Mieter kosten. Das zeigt eine Berechnung von SRF, welche die Anzahl Mietwohnungen institutioneller Anleger (Pensionskassen, Versicherungen, Banken), die Anzahl jährlicher Wohnungswechsel und die oben beschriebene Erhöhung von 700 Franken für eine Durchschnittswohnung berücksichtigt. Es ist keine genaue Rechnung, wohlgemerkt, sie lässt aber die Dimension erahnen. Salopp gesagt wechseln hunderte Millionen aus den Taschen der Mieter zu Versicherern und Pensionskassen. Eine zusätzliche Zwangsvorsorge via Mietaufschläge.
Auch Mieter, die keinen Wohnungswechsel ins Auge fassen (müssen), können nicht zurücklehnen: Weil mit einem Mieterwechsel plötzlich deutlich mehr Rendite lockt, könnten auch die sogenannten Leersanierungen von Altliegenschaften zunehmen. Anstatt dass Mieter während der Renovation weiter wohnen können, wird das Haus leergeräumt. Mit neuen Mietern kann der Vermieter den höheren Renditesatz anwenden.
Das Gericht greift in demokratischen Prozess ein
Brisant am Bundesgerichts-Entscheid ist weiter, dass er in den demokratischen Prozess eingreift: Im Parlament sind Vorstösse hängig, welche die nun vom Gericht vorweggenommenen Änderungen ebenfalls fordern. Das Gericht bezieht sich in seiner Urteilsbegründung darauf – aber der Ständerat entscheidet erst am 15. Dezember. Sollten die Vorstösse durchkommen, wird das Gericht im Nachhinein vom Gesetzgeber gestützt – was doch mindestens ungewöhnlich ist.
Der Mieterverband ist empört, wehrt sich gegen die Vorstösse und droht mit dem Referendum. Nur, selbst wenn er es gewinnen würde: Der Gerichtsentscheid ist damit nicht vom Tisch. Die Mieter haben gerade ziemlich viel Geld verloren.