Die abtretende Bundesrätin und der abtretende Bundesrat taten es, die Neugewählten ebenso: Sie betonten, wie wichtig in unserem Land die Ausgewogenheit, die Vielfalt der Meinungen, das gemeinsame Suchen nach dem Kompromiss und das Ringen um die beste Lösung seien.
Und mehrmals erhoben sich alle National- und Ständerätinnen, egal von welcher Partei, zu stehenden Ovationen für die abtretenden Regierungsmitglieder und für die neuen.
Die politische Zusammensetzung des Bundesrats war unbestritten, keine Partei stellte Gegenkandidatinnen oder Gegenkandidaten auf. So gesehen war die Bundesratswahl heute ein Ritual, eine Feierstunde der Schweizer Konkordanz-Demokratie.
Die Deutschschweiz in der Minderheit
Aber das ist höchstens die Hälfte der Wahrheit. Denn schaut man auf das Ergebnis, zeigen sich zwei Auffälligkeiten, die das Land über den Tag hinaus beschäftigen werden:
Erstens: Die Bundesratsmitglieder aus der Deutschschweiz sind ab Neujahr in der Minderheit. Das gab es zuletzt am Ende des Ersten Weltkriegs, zwischen 1917 und 1919 – damals bestand die Mehrheit aus zwei Westschweizern, einem Italienisch- und einem Rätoromanischsprachigen.
Einen politischen Grund für eine sogenannte «lateinische Mehrheit» gibt es mehr als 100 Jahre später keinen. Es ist auch kein bewusstes Manöver des Parlaments. Vielmehr nahm die Vereinigte Bundesversammlung diese Konstellation in Kauf, im Bewusstsein, dass sie sich nach dem nächsten Rücktritt aus dem Bundesrat korrigieren lässt. Geschieht das, bleibt diese Mehrheit aus Tessin und Westschweiz eine Fussnote der Bundesratsgeschichte.
Starke ländliche Vertretung
Zweitens und politisch wahrscheinlich bedeutsamer: die absolute Dominanz des ländlichen Raums im Bundesrat. Nimmt man die Bevölkerungszahl zum Nennwert, ist jetzt Karin Keller-Sutter aus Wil (SG) mit gut 24'000 Einwohnern die «städtischste» Bundesrätin.
Die urbane Schweiz, die grossen Kernstädte und ihre Agglomerationen, haben keine direkte Vertretung mehr in der Landesregierung. Das ist nicht jene Ausgewogenheit, die am Wahltag so oft beschworen wurde und könnte, angesichts der Tatsache, dass die Politikwissenschaft jüngst vermehrt einen Stadt-Land-Graben beobachtet, zum Problem werden.
Zwar waren es sicher verschiedene Faktoren, die Elisabeth Baume-Schneider zum entscheidenden Vorsprung auf ihre Konkurrentin aus der Stadt Basel verholfen haben. Dazu zählen auch Stimmen von jenen, die so die baldige Wahl eines SP-Mannes aus der Deutschschweiz ermöglichen wollten. Aber eine grosse Rolle dürfte auch die Unterstützung des bäuerlichen Milieus gespielt haben.
Hier hat die Jurassierin gepunktet, die Baslerin Herzog dagegen unterschätzte diesen Faktor wohl etwas. So gesehen ist die Wahl Baume-Schneiders auch eine bewusste Wahl für die ländliche Schweiz.
Welche Partei muss ihre Macht abgeben?
Hinter der scheinbar glatten Fassade der Konkordanz, wie sie sich am Wahltag präsentierte, tun sich also Risse auf. Und diese Risse könnten nach den National- und Ständeratswahlen im Oktober nächsten Jahres noch zahlreicher werden. Verschieben sich dort nämlich die politischen Kräfteverhältnisse, dürften – je nachdem – die Forderungen nach Bundesratssitzen für Grüne oder Grünliberale lauter werden.
Und ebenso die Frage, welche Partei stattdessen Macht abgeben muss. Das zeigt, die Schweizer Konkordanz ist kein Naturgesetz, sondern bestenfalls ein labiles Gleichgewicht, bei dem nur eines sicher ist: Es wird auch bei der nächsten Bundesratswahl wieder beschworen.