SRF News: Die Mehrheit der Köpfe im Ständerat steht fest. Was bedeutet das Wahlergebnis für die Bundesratswahlen?
Michael Hermann: Heinz Brand hat gute Chancen. Er hat einen umgänglichen Ton und den Vorteil, dass er das Verwaltungssystem kennt. Auch Thomas Aeschi dürfte in Frage kommen, weil er sich in Finanzfragen gut auskennt, allerdings ist er noch wenig erfahren. Klar ist, die Bundesversammlung wird keinen wählen, der sich nicht ins System einbinden lässt.
Die politische Ausrichtung spielt keine Rolle?
Bei den Sachfragen sind zwischen den einzelnen SVP-Parlamentariern und Bundesratskandidaten gar keine grossen Unterschiede mehr auszumachen. SVP-Politiker können es sich aufgrund des Drucks von der Partei und wegen der Transparenz gar nicht leisten, nicht auf Parteilinie zu politisieren. Bei der SVP gibt es also nur noch Hardliner, sie sind gegen die europäischen Institutionen, gegen die Personenfreizügigkeit und für eine harte Asylpolitik.
Und welche von ihnen sind fürs neue Parlament wählbarer?
Es gibt Unterschiede im Auftreten der Kandidaten. Es gibt jene, die aus Überzeugung auf Parteilinie politisieren, und jene, die sich der Linie teilweise nur anpassen, weil sie müssen. Letztere Kandidaten sind fürs Parlament interessant. Die Räte werden jenen wählen, der sich «resozialisieren» lässt, einen, der anpassungsfähig ist. Und egal wer gewählt wird, er wird im Bundesrat nicht die gleich harte Linie fahren können wie im Parlament, sonst wird er keinen Einfluss haben.
Im Nationalrat gab es einen Rechtsrutsch, beim Ständerat bleibt alles beim Alten. Werden sich die Räte gegenseitig blockieren?
Da habe ich meine Meinung korrigiert. Wenn man sich nicht einfach die Parteien, sondern die neuen Köpfe im Ständerat anschaut, ist klar, dass es in der kleinen Kammer fast unbemerkt ebenfalls einen deutlichen Rechtsrutsch gegeben hat.
Beispiele?
Olivier Français (FDP/VD) kommt für Luc Recordon (Grüne/VD), Josef Dittli (FDP/UR) kommt für Markus Stadler (GLP/UR), für Christine Ergerszegi (FDP/AG) wird entweder Philipp Müller (FDP/AG) oder Hansjörg Knecht (SVP/AG) kommen. Mit diesen Wechseln verschieben sich drei Sitze klar von links nach rechts der Mitte. Dazu kommen die jeweils rechteren Parteifreunde Beat Vonlanthen für Urs Schwaller (CVP/FR), Peter Hegglin für Peter Bieri (ZG/CVP). Zählen wir diese beiden innerparteilichen Verschiebungen halb, gewinnt das Mitte-rechts-Lager im Ständerat vier zusätzliche Sitze. Das tönt nach wenig, entspricht aber einer Verschiebung von 17 Sitzen nach rechts im Nationalrat.
Grosse Würfe hatten es in der Vergangenheit schwer. Werden diese Gesetzesvorlagen nun leichter durchkommen?
Nein, im Gegenteil. Möglicherweise werden die Kammern zwar schneller zum Konsens finden, gerade dort, wo grosse Reformen gefragt sind, also bei der Unternehmenssteuerreform und bei der Altersvorsorge wird es dafür umso schwieriger sein, im Volk dafür Mehrheiten zu finden. Eine neoliberale Abbau-Vorlage bei den Renten wird vom Volk abgelehnt werden. Die Bevölkerung wollte ein rechteres Parlament, ausgerechnet im Bereich der Wirtschaftsreformen ist die Bevölkerung aber schön heute weniger wirtschaftsliberal, weniger wirtschaftsfreundlich als das Parlament.
Wird das Parlament die Unternehmenssteuerreform von Widmer-Schlumpf wieder verwässern?
Es wird nicht alles durchkommen, was Widmer-Schlumpf jetzt aufgegleist hat. Aber die Räte werden weniger rückgängig machen, als jetzt erwartet wird, auch bei der Energiewende. Widmer-Schlumpf eignete sich als Sündenbock. Viele Veränderungen die mit ihr verbunden werden, sind aber vor allem eine Folge von internationalem Druck oder technologischem Wandel. Dem kann und will sich auch ein rechteres Parlament nicht entziehen. Das Bankgeheimnis etwa wird nicht wieder eingeführt und auch weil immer mehr bürgerliche Einfamilienhausbesitzer Solarzellen auf dem Dach haben, wird die Energiestrategie nicht auf den Kopf gestellt.
Heisst das, dass auch der zweite SVP-Mann im Bundesrat nicht viel bewirken kann?
Die neue Zusammensetzung des Bundesrates wird das Kernthema der SVP, die Migration, nicht grundlegend verändern. Die Landesregierung wird aber freisinniger, weniger auf der SVP-Linie, dafür mehr auf der FDP-Linie politisieren.
Das Gespräch führte Christa Gall.