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Cassis auf China-Besuch Versucht der Bundesrat, China aus dem Schlaglicht herauszunehmen?

Aussenminister Ignazio Cassis ist in China. Aber nicht, um sich wegen der unberechenbaren Trump-Regierung China anzunähern. Diese Annäherung sei längst geschehen, sagt der China-Experte Ralph Weber.

Ralph Weber

Professor für European Global Studies, Universität Basel

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China und der Westen ist sein Spezialgebiet. Der Philosoph und Politikwissenschaftler ist Professor am Europainstitut an der Universität Basel und wünscht sich eine kritische Haltung gegenüber der autoritären chinesischen Führung, ohne das Land zu dämonisieren. Die chinesische Botschaft in Bern kritisiert ihn regelmässig für seine Arbeiten und Aussagen.

SRF News: Warum besucht Cassis China? Wegen der Spannungen mit den USA?

Ralph Weber: Der Bundesrat pflegt seit mehreren Jahren eine Annäherungspolitik zur Volksrepublik. Das hat nach der China-Strategie 2021, in der durchaus Klartext gesprochen wurde, angefangen. Bald betonte die Schweiz ihre guten Dienste, also als neutrales Land unter anderen Ländern vermitteln zu können. So kam es zu einer Annäherung, die sich in mehreren Besuchen von Bundesräten in China abzeichnete.

Jetzt, im grossen Krach mit den mit USA, hat die Beziehung für das chinesische Regime wohl auch eine propagandistisch-strategische Dimension.

Es ist keine Reaktion auf die erratische Politik in den USA. Sich pendelartig nach China neu auszurichten, erscheint auch nicht als zwingend. Mit der EU hat die Schweiz eine Partnerin, mit der sie gut vernetzt ist. Und mit der sie viel stärkere Wirtschaftsbeziehungen pflegt und diese auch noch mehr stabilisieren und fördern könnte.

Bürgerliche Politiker fordern vertieftere Handelsbeziehungen zu China, die Schweiz soll sich nicht allein auf die EU stützen.

Die Schweiz hat bereits sehr gute Wirtschaftsbeziehungen mit der Volksrepublik China. Wir sind das erste kontinental-europäische Land mit einem Freihandelsabkommen, wir haben eine innovative strategische Partnerschaft mit China. Wir waren eines der Gründungsmitglieder der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank und vieles mehr.

Nachrichtendienst warnt vor Spionage

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Der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) warnt seit vielen Jahren, dass die Bedrohung der Schweiz durch chinesische Spione hoch bleibe. Man gehe hauptsächlich von staatlichen Akteuren, also den Nachrichtendiensten Russlands und Chinas aus. Die Spionagetätigkeiten dürften zudem über die Jahre zunehmen. Dutzende Chinesen würden als Diplomaten aber auch als Geschäftsleute, Wissenschaftlerinnen oder Journalisten getarnt in der Schweiz spionieren.

Ralph Weber hat kürzlich für den Bund die systematische Überwachung und Einschüchterung der Uiguren und Tibeterinnen in der Schweiz untersucht. Auch der NDB thematisiert vom chinesischen Parteistaat ausgeübten Druck in der Schweiz. Der Bundesrat verweist auf den Menschenrechtsdialog mit China, der im Februar 2025 zum 18. Mal stattgefunden hat. Ob die Schweiz die Lage der Tibeterinnen und Uiguren angesprochen hat, ist nicht klar. Der Dialog ist vertraulich.

Dennoch ist die Schweiz wirtschaftlich für China ein kleinerer Fisch als umgekehrt. Die Rolle der Schweiz für China ist eine andere. Gerade jetzt im grossen Krach mit den mit USA hat die Beziehung für das chinesische Regime wohl auch eine propagandistisch-strategische Dimension.

Auch andere Länder wollen mit einem frischen Blick auf das Verhältnis zu China schauen. Geht es bei der EU jetzt um eine Annäherung?

Ja, die EU hat in den letzten Jahren eine dezidiert chinakritische Politik verfolgt, etwa Zölle erhoben, Sanktionen ergriffen und das umfassende Investitionsabkommen auf Eis gelegt. Bei ihr wäre eine jetzt stattfindende Annäherung an die Volksrepublik China als mögliche Neuausrichtung tatsächlich als Folge der erratischen Politik der USA zu verstehen.

Bis Ende 2024 hatte der Bundesrat eine separate China-Strategie: Dort äusserte er sich auch zu Menschenrechten. Jetzt soll China noch als Teil einer breiten Gesamtperspektive auf Asien vorkommen. Will der Bundesrat damit China gefallen?

Da stellt sich die Frage, warum der Bundesrat vor vier Jahren eine separate, länderspezifische Strategie zu China und keine regionale Asienstrategie erstellt hat. Und warum das gerade jetzt korrigiert werden muss. Falls das nicht überzeugend dargelegt wird, bleibt der Anschein, dass der Bundesrat versucht, China aus dem Schlaglicht herauszunehmen.

Menschenrechtsklausel als Feigenblatt

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In der Schweiz wollen linke Politikerinnen und Politiker und Organisationen im Freihandelsabkommen mit China eine Menschenrechtsklausel verankern; ansonsten werde das Referendum ergriffen.

Für Ralph Weber wäre eine solche Klausel zwar innenpolitisch bedeutsam. Aber an der Menschenrechtssituation in China würde sie kaum etwas ändern, sagt er. Eine zahnlose Klausel riskiere sogar zum Feigenblatt zu mutieren. Vorab an Wirtschaftsbeziehungen interessierte Kreise könnten fortan argumentieren, dass ja schon sehr viel für die Menschenrechte gemacht worden sei, man habe sie sogar im Freihandelsabkommen festgehalten.  

Ein Grund für Cassis’ Besuch könnte das Freihandelsabkommen von 2014 sein. Die Schweiz möchte verbliebene Zölle auf Waren wie Gold abschaffen. Wäre das ein Ausbau – oder würden nur gleich lange Spiesse geschaffen?

Aus Schweizer Sicht ist es ein Ausbau, weil beim Abschluss in einigen Bereichen doch noch Zölle stehen gelassen wurden, in einseitig für die Schweiz bedeutsamen Bereichen. Bern kämpft seit langem für eine Neuverhandlung. Für die Volksrepublik China ist es kein Ausbau, sondern es geht vorab ums Image. Die Botschaft ist: Mit China kann man verhandeln und gewinnbringend Handel betreiben, wenn man sich politisch etwas zurücknimmt.

Das Gespräch führte Ruth Wittwer.

Echo der Zeit, 24.4.2025, 18 Uhr ; 

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