Es ist ein Fakt: Noch immer absolvieren Jugendliche aus Arbeiterfamilien viel seltener ein Studium als junge Erwachsene mit Akademikereltern. Das zeigen Zahlen des Bundes.
Auch die Nationalität spielt eine grosse Rolle: Nur rund ein Viertel der Ausländerinnen und Ausländer schafft die Reifeprüfung. Von den jungen Schweizerinnen und Schweizern sind es fast doppelt so viele. Dies legt ein Blick auf die Maturitätsquote offen.
Ein Stadtluzerner Gymnasium will hier Gegensteuer geben. Die Kantonsschule Reussbühl hat 2019 das Förderprogramm «Chance KSR» gestartet. Das Zielpublikum: begabte, sozial benachteiligte Jugendliche. Insbesondere solche mit Migrationshintergrund.
Ihnen stehen speziell ausgebildete Lehrpersonen als Coaches zur Seite. Sie helfen, in einzelnen Fächern die Noten aufzubessern, sich besser zu organisieren oder auch Prüfungsangst abzubauen. Schülerinnen und Schüler buchen das benötigte Angebot im Baukasten-Prinzip.
Vier Jahre dauerte die Versuchsphase. Nun, am Ende dieser Zeitspanne, steht fest: Dank der finanziellen Mittel einer Stiftung ist das Förderprogramm für vier weitere Jahre gesichert.
Migrationshintergrund wird zur Hürde
Dass ausgerechnet die Kanti Reussbühl ein solches Programm lanciert hat, kommt nicht von ungefähr. Weit über ein Drittel der Schülerinnen und Schüler des Langzeitgymnasiums hat einen Migrationshintergrund.
Viele unserer Schülerinnen und Schüler kommen aus bildungsfernen Familien, die sie auf ihrem Weg an der Kanti kaum unterstützen können.
«Von den Jugendlichen im Kurzzeitgymnasium sind es sogar deutlich über 50 Prozent», so Rektorin Annette Studer. «Viele kommen aus bildungsfernen Familien, die sie auf ihrem Weg an der Kanti kaum unterstützen können.»
Teilnehmerin hat nun Matura im Sack
Eine Teilnehmerin der ersten Stunde ist Nastasja Cvetanovic. «Physik und Chemie waren nie meine Freunde», sagt die 18-Jährige. Auch Mathematik machte ihr Mühe. Also bewarb sie sich. Sie habe dafür nicht über ihren Schatten springen müssen. «Wenn ich merke, ich bin am Anschlag, hole ich mir Hilfe.»
Nastasja Cvetanovic erhielt Mathe-Nachhilfe, nahm Coaching-Lektionen. Wie teile ich mir den Stoff auf? Wie verhindere ich an der Prüfung ein Blackout? «Davon konnte ich im Hinblick auf die Matura profitieren.»
Während Nastasja Cvetanovic mittlerweile die Matura im Sack hat, ist der 19-jährige Azad Tawfiq noch auf dem Weg dorthin. In der Schweiz geboren, lebte er zwischenzeitlich fünf Jahre in seiner Heimat Kurdistan, einer Region im Nordirak.
Als er mit 14 in die Schweiz zurückkehrte, haperte es mit Deutsch. Also meldete er sich vor drei Jahren fürs Förderprogramm. «Ich besuchte Schreibtrainings und erhielt auch Hilfe bei der Grammatik.»
Gymi wertet Programm als Erfolg
Die Chancen, dass Azad Tawfiq seinen Traum eines Medizin-Studiums verwirklichen kann, stehen gut: Im Sommer 2021 schafften 94.1 Prozent der Teilnehmenden den Sprung ins nächste Schuljahr. Im Sommer 2022 hatten 88.9 Prozent der geförderten Jugendlichen ein genügendes Jahreszeugnis. Die Kanti Reussbühl wertet dies als grossen Erfolg.
Allerdings lässt das Gymi auch jene nicht ausser Acht, die anderswo besser aufgehoben sind. «Es kommt immer wieder vor, dass Schülerinnen und Schüler andere Interessen entwickeln», sagt Rektorin Annette Studer. «Es ist auch die Aufgabe unserer Coaches, einen Spurwechsel vorzubereiten.» Gerade, wenn Eltern mit ausländischen Wurzeln beispielsweise den Weg der Berufsbildung nicht kennen. «Wir wollen auch Alternativen aufzeigen.»