In Les Prés-d'Orvin am Fusse des Chasserals BE liegt überall Neuschnee. Strassen, Felder, Häuser – alles frisch gepudert. Isaline Mercerat schnallt ihre Schneeschuhe an und biegt von der Hauptstrasse in einen Winterwanderweg ein. Sie zeigt auf den Wegweiser: «Es wichtig, dass die Leute geführt werden, sonst würden alle ihre eigenen Spuren machen.»
Die Biologin arbeitet im Auftrag des Vereins Naturpark Chasseral und zeigt auf, wie sie dafür sorgt, dass sich Schneegäste und Wildtiere nicht in die Quere kommen. Denn: Auf dem Chasseral wimmelt es von Schneeschuhwanderern, Langläuferinnen oder Spaziergängern.
Flucht schwächt Wildtiere
Zentral seien die Markierungen, sagt Isaline Mercerat. Sämtliche Wege, die für den Wintersport geeignet sind, müssten gut ausgeschildert sein. Denn: Im Chasseral-Gebiet leben viele Wildtiere, etwa Gämsen, Hasen oder Rehe. Fühlen sich diese von den Menschen gestört, ergreifen sie die Flucht. Das schwächt sie und macht sie anfälliger für Krankheiten. Ausserdem müssen sie mehr Nahrung suchen, um die Anstrengung auszugleichen.
Isaline Mercerat führt zu einer Weggabelung, wo ein grosses Plakat auf die vier wichtigsten Verhaltensregeln in der Natur verweist.
Die erste Regel lautet: Die vom Kanton definierten Wildruhezonen und Wildschutzgebiete beachten. Denn dort darf man sich ausschliesslich auf den markierten Wegen bewegen. Wer sich nicht daran hält und von der kantonalen Wildhut erwischt wird, riskiert eine Busse von 250 Franken.
Les Prés-d'Orvin, wo Isaline Mercerat an diesem Morgen unterwegs ist, liegt knapp nicht im Schutzgebiet. Dennoch empfiehlt die Naturschützerin, auch hier auf den markierten Wegen zu bleiben. Wobei längst nicht alle Leute dieser Empfehlung folgen. Das zeigt die Begegnung mit einer Spaziergängerin. «Wenn ich die Schneeschuhe dabei habe, laufe ich gerne mal neben dem Weg», sagt sie.
Isaline Mercerat erklärt, es komme stets darauf an, wo jemand ausschere. «Hier ist es nicht ganz so schlimm, weil es überall Pisten hat. Aber in einer Schutzzone wäre das streng verboten.»
Regeln versus wilder Westen
Dass der Chasseral so viel Publikum anlockt, hat nicht zuletzt auch mit den Métairies zu tun: mit den juratypischen Bauernhöfen, die auch Gäste bewirten. Eine davon ist die Bison Ranch bei Prés-d'Orvin.
Dort kommt Isaline Mercerat mit Christian Lecomte ins Gespräch. Er führt die Métairie seit über 30 Jahren. Was hält er von den Regeln zum Schutz der Wildtiere, die auch seine Gäste betreffen? «Ich bin einer von der wilden Sorte», sagt er und lacht. Er wollte damit sagen, dass er es grundsätzlich gut finde, wenn die Natur geschützt werde. «Aber man darf es nicht übertreiben», sagt er.
Wir sind Gast in der Natur und sie muss uns nicht überall zur Verfügung stehen.
Als sich Isaline Mercerat mit ihren Schneeschuhen auf den Rückweg macht, sinniert sie noch einmal über die Gratwanderung zwischen dem menschlichen Freizeitbedürfnis und dem Schutz der Tiere: «Es ist gut, dass die Leute in die Natur gehen, sich dort erholen. Andererseits müssen wir uns bewusst sein: Wir sind Gast in der Natur und sie muss uns nicht überall zur Verfügung stehen. Das Ziel ist, dass wir mit Achtsamkeit unterwegs sind.»
Mit Achtsamkeit durch die Natur – das kommt letztlich nicht nur den Tieren zugute, sondern auch dem gestressten Geist des Städters und der Städterin.