Die Tessiner Gemeindewahlen sind ein veritables Abbild der Wirklichkeit. So zeigt die Analyse der Wahlen in die Exekutive, dass es noch nie in der Geschichte der Südschweiz so viele ältere Gemeinderäte gegeben hat. Im Kanton mit der schweizweit grössten Langlebigkeit steigt die Zahl der Mandatsträger, die älter als 65 ist.
Der ehemalige SVP-Schweiz-Präsident Marco Chiesa ist mit seinen 49 Jahren für Tessiner Verhältnisse also jung. Chiesa hat mit über 10'000 Stimmen das zweitbeste Resultat erzielt und zieht damit zufrieden in den Stadtrat von Lugano ein. Dieses neue Amt macht ihn, zusammen mit seinem Ständeratsmandat, zum Berufspolitiker. Chiesa hat definitiv profitiert von seinem Bekanntheitswert als SVP-Präsident. Er hat nämlich kaum Wahlkampf betrieben.
Talfahrt der Lega gebremst
Dass Marco Chiesa den amtierenden Lega-Stadtpräsidenten Michele Foletti von der Lega dei Ticinesi nicht überrundet hat, ist für die einstige Protestbewegung eine grosse Erleichterung. Die Tessiner Medien reden gar von einer Beruhigungspille für die Lega. Denn die SVP hat der Lega in den vergangenen Jahren konstant Sitze entrissen. Bei diesen Wahlen musste die Lega aber keine Federn lassen.
Sowohl die SVP als auch die Lega konnten weiterwachsen. Eine Erklärung dafür ist, dass sich die Lega in den vergangenen Monaten sehr aktiv in das Zeitgeschehen eingemischt hat. Sie hat sich wieder viel stärker als in den vergangenen Jahren um soziale Themen und damit um das Portemonnaie der Bürger und Bürgerinnen gekümmert. Um die Tessiner SVP ist es hingegen seit den nationalen Wahlen und der Asylpolemik um Chiasso still geworden.
Listenverbindungen sorgen für Sitzverluste
Egal, ob rechts oder links: Traten die Kandidaten auf gemeinsamen Listen an, erhielten sie von den Stimmbürgerinnen eine Absage. Es scheint, dass sich die Tessiner Stimmbürger nach Klarheit sehnen. Mit auffällig vielen Absagen hat links-grün beziehungsweise die Tessiner SP zu kämpfen. Das ist insofern bemerkenswert, als es der Tessiner Linken nicht gelingt, daraus Kapital zu schlagen, dass rechtsbürgerliche Politik dem Staat und damit dem Bürger Sparmassnahmen verabreichen will.
Klarheit kommt an
Auch Federn lassen bei den Gemeindeparlamenten musste die Tessiner Traditionspartei der Liberalen. Deutlich besser erging es andererseits der Tessiner Mitte. Das erstaunt nicht. Denn die Mitte bearbeitet im Tessin derweil mit viel Polemik die drängenden sozialen Probleme, allen voran die hohen Krankenkassenprämien. Sie sendet klare Botschaften und verspricht einfache Lösungen. Das kommt an: egal aus welchem politischen Lager.
Auch Gehör fand das Engagement für mehr Frauen in der Tessiner Kommunalpolitik. Zwölf Frauen mehr sitzen demnächst in den Tessiner Gemeinde-Exekutiven. In der Südschweiz bewegt sich also etwas in Sachen weibliche Partizipation. Damit allerdings das Niveau der anderen Landesteile erreicht ist, braucht es noch weitere Bemühungen.