Nennen wir sie Anna. Anna ist 38, wohnt seit bald 20 Jahren in der Stadt Freiburg und ist vor rund drei Jahren zum ersten Mal mit dem Brauch des Gesundbetens in Kontakt gekommen: Ihre damals einjährige Tochter habe eine grosse Warze an der Hand gehabt, keine Behandlung habe gewirkt und der Arzt habe schliesslich vorgeschlagen, die Warze chirurgisch zu entfernen.
Da ich so verzweifelt war, dachte ich, versuchen können wir es mal.
Das fand Anna aber übertrieben. Dann hörte sie zum ersten Mal vom «secret», vom Geheimnis. So sagt man dem Gesundbeten im Französischen. Anna war zuerst skeptisch: «Aber da ich so verzweifelt war, dachte ich mir, versuchen können wir es mal.»
Es stellte sich heraus, dass eine Betreuerin in der Kindertagesstätte der Tochter eine «Faiseuse de secret» sei, also eine Person, die die Gabe des Gesundbetens habe. Diese sprach ein Gebet und kurze Zeit später, ungefähr nach drei Wochen, sei die Warze an der Hand ihrer Tochter plötzlich verschwunden, so Anna. «Das kann doch nicht sein», sei ihre erste Reaktion gewesen, «aber umso besser», die zweite.
Ich habe eine Gabe, mit der ich anderen Menschen helfen kann, also mache ich das.
Für dieses Gebet musste Anna nichts bezahlen. Und das scheint der Normalfall zu sein: Marie-Louise Glannaz praktiziert seit fast 40 Jahren das Gesundbeten im Kanton Freiburg. Sie sagt: «Ich mache das nicht wegen des Geldes. Ich habe eine Gabe, mit der ich anderen Menschen helfen kann, also mache ich das auch.»
Es komme zwar ab und zu vor, dass sich Leute bei ihr bedanken und auch etwas zahlen wollten, meistens sei das aber nur ein kleines Trinkgeld oder ein Schöggeli. Da sage sie nicht Nein dazu, aber sie verlange nichts.
Fast täglich erhält Marie-Louise Glannaz Anrufe von Menschen, die sich gesund beten lassen wollen. Sie führe keine Statistik, aber ihr Eindruck sei, dass die Zahl in den letzten Jahren zugenommen habe. Die Gesundbeterin sieht den Grund für die Zunahme im Internet. Dort sind Namen und Telefonnummern von Gesundbeterinnen und Gesundbetern aufgeführt. Wer nach ihnen sucht, findet sie auch.
Generell im Aufwind
Dass sich seit ein paar Jahren wieder mehr Menschen gesund beten lassen, bestätigt auch die Sozial-Anthropologin Magali Jenny. Sie beschäftigt sich mit verschiedenen Formen von Heil-Praktiken in der Schweiz und sagt: «Alternative Heilmethoden sind generell im Aufwind.»
Das Gesundbeten sei auch nicht mehr so verpönt wie früher. Vor allem in der Westschweiz hätten mittlerweile sogar fast alle Spitäler Listen mit Kontakten zu Gesundbeterinnen und -beter.
Wissenschaftlich lässt sich nicht beweisen, ob das Gesundbeten wirkt oder nicht. Trotzdem ist etwa das Freiburger Spital HFR offen gegenüber dem Brauch.
Es koste nichts und schade nicht. Wenn sich Patientinnen oder Patienten das wünschen, spreche nichts dagegen, das Gesundbeten in Anspruch zu nehmen, sagt Charly Ferry vom HFR.
Zurück zu Anna, die ihre Tochter gesund beten liess. Trotz der Erfahrung mit ihrer Tochter, bei der die Warze an der Hand nach dem Heilspruch der Gesundbeterin verschwand, ist sich Anna nicht sicher, was sie davon halten soll. Aber, sie würde es wieder machen, schliesslich schmerze es nicht. Das Credo: «Nützt's nüt, so schadt's nüt.»