9. Februar 2014: «Dieses Ergebnis muss dem Bundesrat zu denken geben!», ruft SVP-Parteipräsident Toni Brunner. Und Justizministerin Simonetta Sommaruga verspricht noch am Abstimmungssonntag unmissverständlich: «Dieser Entscheid gilt in einer direkten Demokratie. Und wir werden ihn jetzt umsetzen.»
Nur, wie will man die EU dazu bringen, der Schweiz trotz dem Personenfreizügigkeitsabkommen Ausländerkontingente und Höchstzahlen zu erlauben?
13. Februar 2014: Politiker der EU beeilen sich, klar zu machen, dass es nichts zu verhandeln gebe. Der damalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso stellt auf Lateinisch klar: «Pacta sunt servanda», Verträge sind zu halten, Punkt.
Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn spielt auf SVP-Stratege Christoph Blocher an: «Er soll nach Brüssel kommen und mit uns verhandeln, dann wird er sehen, wie schwierig das wird, und dass wir an diesem Prinzip nichts ändern.»
Frühjahr 2014: Natürlich verhandelt dann nicht Blocher mit der EU-Kommission, sondern der Bundesrat mit ihren Unterhändlern. Die Zwischenberichte der Regierung klingen in den folgenden Monaten immer sehr ähnlich: arm an Fakten, reich an Floskeln.
«Das führt in eine Auseinandersetzung. Und es wird eine ganz, ganz schwierige Übung sein, eine gescheite, auch langfristig gescheite Lösung zu finden», sagt Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann.
Simonetta Sommaruga stellt fest: «Wir sind ganz am Anfang des Prozesses. Es ist ein schwieriger Weg. Wir liegen weit auseinander.»
Und Didier Burkhalter findet ebenfalls: «Wir haben eine Situation, in der alles wirklich schwierig wird. Es wird nicht in einigen Tagen alles klar sein.»
4. Juni 2014: Bei der Siegerin der Abstimmung vom 9. Februar 2014, der SVP, kommt früh der Verdacht auf, der Bundesrat tue nur so, als ob er verhandle. SVP-Parteipräsident Brunner vermutet schon vier Monate nach der Abstimmung ein abgekartetes Spiel:
«Der Bundesrat muss mit einem klaren Nein aus Brüssel zurückkehren. Dann kann nicht verhandelt werden, und wir in der Schweiz werden diesen Volksentscheid mit einer zweiten Abstimmung rückgängig machen.»
27. Oktober 2015: Eine zweite Volksabstimmung bringt aber nicht der Bundesrat ins Spiel, sondern ein parteiunabhängiges Komitee mit namhaften Professoren. Es reicht die Rasa-Initiative «Raus aus der Sackgasse» ein.
Und dieser Ausweg geht so: «Dieser Artikel muss weg, damit wir unsere Beziehungen mit den Nachbarstaaten und mit der EU weiterführen können», so der frühere Staatsrechtsprofessor Andreas Auer. Den Volksentscheid einfach rückgängig zu machen, lehnen zwar die meisten Politiker ab. Aber die Initiative spielt seither eine wichtige Rolle in der Strategie der Abstimmungs-Verlierer.
Anfang 2016: Der Bundesrat demonstriert zwei Jahre nach der Abstimmung noch einmal seinen Willen, den Volksentscheid umzusetzen: Er spricht von einer einseitigen Schutzklausel. Das bedeutet, die Schweiz ergreift unter Umständen Massnahmen gegen die Einwanderung – ohne Absprache mit Brüssel.
Aber der Bundesrat relativiert gleichzeitig: Das heutige Resultat sei ein Zwischenschritt bis zu einer Einigung mit der EU. Nur, daran ist nach dem britischen Nein zur EU (Brexit) im Juni 2016 nicht mehr zu denken.
Im Herbst 2016 schlägt dann im Parlament die Stunde der sperrigen Begriffe – wie etwa der «Inländervorrang light».
Wintersession 2016: Aus dem «Inländervorrang light» wird im parlamentarischen Feilschen schliesslich ein Arbeitslosenvorrang, der die Handschrift von FDP-Ständerat Philipp Müller trägt. Er appelliert an seine Ratskollegen: «Sie geben all den Arbeitslosen im Land eine Chance, sich wieder einmal zeigen zu können.»
Das hat jetzt die Parlamentsmehrheit am Freitagmorgen beschlossen: Eine Lösung, die die Masseneinwanderungs-Initiative bestimmt nicht wortgetreu umsetzt, aber den freien Personenverkehr mit der EU nicht gefährdet.
SVP-Politiker schäumen. «Das Volk wird verseckelt!», meint Christoph Blocher. Noch deftiger drückte sich Peter Föhn im Ständerat aus: «Jetzt werden wir hier in diesem Saal noch verarscht.»
Derweil plant die Gegenseite den nächsten Schritt. FDP-Ständerat Andrea Caroni erklärt in der Debatte in der kleinen Kammer: «Wenn man feststellt, dass man einen Auftrag aus guten Gründen nicht umsetzen will, dann könnte man den Mut sammeln, den Auftraggeber zu fragen, ob er bereit wäre, den Auftrag zu ändern.»
12. Dezember 2016: Und was die SVP schon lange befürchtet hat, plant jetzt auch der Bundesrat: Das Volk soll über einen Gegenvorschlag zur Rasa-Initiative abstimmen. Und damit, so die Hoffnung, seinen eigenen Entscheid korrigieren.