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Cold Case in Genf Mordverdächtiger bestreitet vor Gericht die Tat

Ein Autohändler soll 1995 einen ägyptischen Diplomaten erschossen haben. Dieser war wohl in geheimer Mission in der Schweiz.

Fingerabdrücke, DNA-Spuren, mehrere abgehörte Telefongespräche und Zeugenaussagen eines verdeckten Ermittlers, der in der gleichen Gefängniszelle eingeschleust worden war: Die Vorwürfe wiegen schwer. Doch der Angeklagte – dunkler Anzug, elegante Lederschuhe – will weis machen, dass alles Missverständnisse und Fehlinterpretationen seien, die als Beweise gegen ihn umgedeutet würden. Er kann sich die Spuren entweder nicht erklären oder will alles ganz anders gesagt haben.

Ein Schalldämpfer führte zum Verdächtigen

29 Jahre ist die Tat her, die seit Anfang Dezember vor dem Bundesstrafgericht verhandelt wird. Am 13. November 1995 hatte ein Nachbar die Leiche eines 42-jährigen Ägypters in der Tiefgarage seines Wohnhauses gefunden. War es Terrorismus? Ein Auftragsmord? Das Opfer ein Spion? Was wie Fiktion klingt, waren reale Ermittlungsstränge.

Farbiges Gerichtssaal-Skizzenbild mit zwei Personen und Justizszene im Hintergrund.
Legende: Der Angeklagte sagte aus, dass er den Schalldämpfer nie gesehen habe. Während der Ermittlungen hatte er die Vermutung geäussert, dass er ihn irgendwo aufgehoben haben könnte. Linda Graedel

Der heute 55-jährige Mann soll geschossen haben. Eine heute 49-jährige Frau soll ihm geholfen haben, einen Schalldämpfer zu basteln. Das Fabrikat aus Schaumstoff von Auto-Kopfstützen und braunem Klebeband hat die Ermittler zu den Verdächtigen geführt. Dank neuer Technologie, damals noch nicht verfügbar, liessen sich ein Fingerabdruck und DNA-Spuren besser analysieren. Erneute Datenbankabfragen ergaben Treffer. Die beiden Angeklagten bestreiten laut ihren Anwälten die Vorwürfe. Er war 26, sie 20, damals waren sie ein Paar.

Die Angeklagten

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Mord ist der gravierendste Vorwurf gegenüber dem 55-jährigen Hauptangeklagten – Staatsbürger von Cote d’Ivoire und Italiens, zuletzt wohnhaft in Frankreich nahe Genf – doch nicht der einzige: Die Liste umfasst auch Vergewaltigung, Drohung, leichte Körperverletzung, Gewaltdarstellung, illegale Einreise in die Schweiz sowie Betrugsdelikte, insgesamt zwanzig Tatbestände. Einzelne, verhältnismässig kleinere Taten gibt er zu, das meiste streitet er ab. Als Beruf wird «Reparateur/Autoverkäufer» angegeben. Der Mann befindet sich seit Dezember 2021 in Haft.

Sein Verteidiger sagt, er könne sich nicht erklären, wie Spuren von ihm auf dem Schalldämpfer gelandet sein könnten, er bestreite jede Beteiligung an der Tat. Der Anwalt drängt darauf, dass im Prozess geklärt wird, wie weit den Spuren eines möglichen Terroranschlags wirklich nachgegangen worden sei. Zu den weiteren Vorwürfen äusserte er sich noch nicht im Detail, einige wird er gemäss ersten Aussagen wahrscheinlich gestehen, andere nicht.

Die angeklagte Frau, schweizerisch-italienische Doppelbürgerin aus dem Kanton Genf, war bei der Tatzeit 1995 20 Jahre alt und hatte gemäss Akten mit dem Hauptangeklagten damals ein Verhältnis. Ihr Verteidiger sagt, sie sei aus allen Wolken gefallen, als man sie 2018 festnahm. Auch sie bestreite jede Beteiligung an der Tat und könne sich die DNA-Spur nicht erklären. Sie ist angeklagt wegen Gehilfenschaft zu Mord und war rund eine Woche in Untersuchungshaft.

Laut Anklageschrift soll der mutmassliche Täter Geld erhalten haben – wieviel? Nicht bekannt. Von wem und weshalb? Ebenfalls nicht bekannt. Das Opfer war stellvertretender Leiter des Handelsbüros der ägyptischen UNO-Mission in Genf. Kein Top-Diplomat. Noch heute stellt sich daher die Frage, weshalb er ins Fadenkreuz geriet.

Zwei Hauptspuren, aber keine Beweise

Die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft liefert – ausser der vorgeworfenen Zahlung – kein mögliches Motiv. Gemäss Ermittlungsakten verfolgten die Ermittler zwei Hauptspuren: Bereits damals wurde ein Bekennerschreiben einer dschihadistischen Terrorgruppe aus Ägypten publik. Ein Anführer: Aymen Al-Zawahiri, der spätere Al-Kaida-Chef, Nachfolger von Osamah Bin Laden.

Das damalige Regime von Hosni Mubarak jagte vermeintliche und tatsächliche Anhänger islamistischer Gruppen unerbittlich, folterte, tötete. Denn sie wollten ihn stürzen. Kam der Mordauftrag an einem Vertreter des Regimes also von der Terrorgruppe? Diese Spur wurde gemäss Ermittlungsakten verfolgt, konnte aber nicht erhärtet werden.

Gerichtszeichnung mit Anklagebank und Richter.
Legende: Der Autoverkäufer ist neben Mord auch wegen mehrfacher Vergewaltigung, Freiheitsberaubung, einfacher Körperverletzung, Drohungen, Gewaltdarstellung und Pornografie angeklagt. Ausserdem muss er sich wegen Finanzdelikten verantworten. Linda Graedel

Die zweite These hängt mit der Rolle des scheinbar zweitrangigen Diplomaten zusammen. Offiziell als ägyptischer Handelsvertreter betitelt, habe er für den ägyptischen Nachrichtendienst gearbeitet, wie aus Akten hervorgeht, die SRF einsehen konnte. In dieser Funktion sei er für Bankkonten Mubaraks in der Schweiz zuständig gewesen – und habe das System Mubaraks kritisiert. Dafür gebe es Hinweise, ist den Akten zu entnehmen – aber auch hier keine Beweise. Ein Kritiker, der zum Schweigen gebracht wurde? Es bleibt eine Vermutung.

Die ägyptische UNO-Mission in Genf hat auf Anfragen nicht reagiert. Das Urteil ist auf Ende Januar angesetzt.

Tagesschau, 13.12.2024, 19:30 Uhr

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