Im neuen Jahr stehen die Kantone vor grossen Aufgaben bei der Organisation der Corona-Impfungen. Doch zunächst kommen entscheidende Wochen vor den Festtagen. Reichen die ergriffenen Massnahmen? Der Basler Kantonsarzt Thomas Steffen wagt im Interview einen Ausblick.
SRF News: Die Fallzahlen sinken, aber der Rückgang hat sich wieder verlangsamt. In einzelnen Kantonen in der Deutschschweiz steigen sie sogar wieder. Wo stehen wir aktuell in dieser zweiten Welle?
Thomas Steffen: Es ist tatsächlich so, die Fallzahlen sind auf einen niedrigeren Wert gesunken. Wir haben den Eindruck, dass es in den nächsten Tagen in Richtung Stagnation gehen könnte.
Sind wir also noch nicht über dem Berg?
Es wird weiterhin neue Herausforderungen geben. Wir wissen, dass verschiedene Dinge einen Einfluss haben können, aber wir wissen nicht genau, was dann mit der Kurve geschehen wird.
Weihnachten steht vor der Tür: Normalerweise eine Zeit, in der viel Vorfreude herrscht. Dieses Jahr sind doch eher gemischte Gefühle vorhanden. Bei Ihnen auch?
Ja, man versucht, dieses «Anders-Sein» des diesjährigen Weihnachtsfests anzunehmen. Die ganz grossen Feste können nicht stattfinden und man muss mehr aufpassen. Auf der anderen Seite hat man aber auch die Möglichkeit, das Fest anders anzupacken, als man es bislang gemacht hat.
Der Bundesrat will die Schrauben möglicherweise nochmals anziehen. Demnach sollen die Regeln für private Treffen und Restaurant-Besuche bis zum 23. Dezember nochmals verschärft werden. Für die Festtage sollen sie dann wieder gelockert werden. Wäre das aus epidemiologischer Sicht sinnvoll?
Es ist pragmatisch-menschlich und insofern ein vernünftiger Ansatz. Die Idee, dass man die Infektionsrate nochmals drücken kann und dass wir Luft für den möglichen Austausch über die Feiertage haben.
Das wäre aber nochmals ein ziemlicher Eingriff in unser Privatleben. Neu wäre der Vorschlag, dass nur noch Personen aus zwei verschiedenen Haushalten zusammenkommen dürfen.
Typischerweise sind die Hemmungen bei schärferen Massnahmen grösser, wenn man in das Private geht. Im Privaten bleibt es auch relativ – ob man das macht oder nicht, wird niemand kontrollieren können. Darum ist der Weg, die Menschen über die Vernunft anzusprechen, einer, welcher noch am meisten nützt.
Die Hemmungen bei Einschränkungen sind da grösser, wo man in das Private geht.
Weitere Einschränkungen in der Vorweihnachtszeit bringen auch das Thema Einsamkeit auf. Welche Rolle spielt das für die psychische Gesundheit?
Wir haben bereits in der ersten Welle spezifische Angebote dafür aufgebaut. Es ist nicht schwieriger, den einzelnen Kontakt zu finden, als bei anderen Weihnachten.
Je mehr Kontakte die Menschen haben, desto besser kommt das Virus vorwärts und desto mehr Probleme haben wir.
Was ich aber bemerke: Menschen, die seit Wochen gerne mehrere Leute auch wieder in einem grösseren Setting treffen würden, haben Probleme.
Auch nach acht Monaten ist noch immer unklar, welche Corona-Massnahmen effektiv helfen.
Das ist so. Was wir aber wissen: Je mehr Kontakt die Menschen haben, desto besser kommt das Virus vorwärts und desto mehr Probleme haben wir. Die Massnahmen sind im Kern so gestrickt, dass sie die Kontakte reduzieren.
Das bedeutet aber, dass wir immer wieder in der gleichen Ausgangslage wären?
Ja, genau. Wenn man die Massnahmen lockert, baut sich das Virus wieder auf und wir hätten eine ähnliche oder gleiche Situation wie vor ein paar Wochen.
Ein Hoffnungsschimmer ist die Corona-Impfung, welche mit grossen Schritten näher rückt. Sie treiben im Kanton Basel-Stadt die Pläne für ein grosses Impfzentrum voran. Ab wann können Sie impfen?
Das wird davon abhängig sein, wann der Impfstoff hier sein wird. Also wohl Anfang Jahr.
Es würde also nicht am Impfzentrum liegen, welches noch nicht bereit ist, sondern daran, dass der Impfstoff noch nicht geliefert ist?
Wir haben das Ziel, bereit zu sein, wenn der Impfstoff da ist.
Zuerst sollen Risikopersonen und Menschen in systemrelevanten Berufen geimpft werden. Wie viel ist erreicht, wenn dieser Teil der Bevölkerung geimpft ist?
Dann geschieht etwas Entscheidendes. Wir können ab diesem Zeitpunkt nämlich das Risiko der Anzahl Neuinfektionen senken und würden nicht mehr so viele schlimme Krankheitsverläufe und auch nicht mehr so viele Todesfälle haben.
Letztendlich wollen wohl alle das Gleiche: Dass alles wieder so ist wie vorher und die Corona-Pandemie vorbei ist. Ist es für Sie denkbar, dass wir in drei Jahren auf die Pandemie zurückschauen und grösstenteils wieder so leben wie vorher?
Solche Krankheiten zeigen meist eine sogenannte Chronifizierungs-Tendenz, deshalb muss man jetzt nicht erschrecken. Das heisst, es ist anzunehmen, dass das Coronavirus auch in zwei, drei Jahren noch da ist. Aber so, wie es sich jetzt gerade auch mit der Impfung entwickelt, wird es längst nicht mehr diese Macht haben. Es wird eine Krankheit sein, die man kennt.
Das Gespräch führte Barbara Peter.