Der Bundesrat sieht die Spitäler unter Druck durch die steigende Zahl der Neuinfektionen. Um eine Überlastung zu vermeiden, prüft er eine Zertifikatspflicht für Restaurants, Bars, Fitnesscenter sowie Kultureinrichtungen. Aber was sind die Kriterien für eine Ausweitung der Zertifikatspflicht? Gesundheitsminister Alain Berset im Interview.
SRF News: Herr Bundesrat, die wissenschaftliche Taskforce hat am Dienstag gesagt: «Wir sind im Moment nicht imstande, Prognosen zu machen.» Sie müssen trotzdem entscheiden. Entscheiden Sie ein bisschen im Blindflug?
Bundesrat Alain Berset: Es gibt keine Prognose, aber es gibt einfach die Beobachtung der Situation. Es gibt immer wieder viele Überraschungen. Wir orientieren uns an der Situation der Spitäler. Was wir unbedingt verhindern müssen, ist eine Überlastung der Spitäler, und da schauen wir ganz genau hin. Und wir müssen auch gut vorbereitet sein für Massnahmen, um das verhindern zu können.
Es war vor zehn Tagen sehr besorgniserregend. Plötzlich ist es ein bisschen besser.
Eine Massnahme, die Sie vorsorglich vorschlagen, ist die Ausweitung der Zertifikatspflicht. Sie nennen kein Datum, keine genauen Kriterien, ob und wann diese Ausweitung stattfindet. Es wirkt trotzdem ein bisschen ratlos.
Es ist ein grosser Fortschritt im Vergleich zu dem, was bis jetzt passiert ist. Was haben wir in solchen Situationen bisher gemacht? Wir mussten einfach Aktivitäten schliessen. Die Restaurants waren während Monaten zu. Das ist vorbei. Ziel ist es, eine Überlastung des Spitalsystems zu verhindern.
Aber wann genau? Das wurde heute nicht klar. Was sind Ihre Kriterien? Wann können Sie den Entscheid fällen?
Leider wissen wir es nicht. Es ist abhängig von der Entwicklung der Situation. Wie die Fallzahlen und vor allem die Hospitalisierungen sich entwickeln. Es war vor zehn Tagen sehr besorgniserregend. Plötzlich ist es ein bisschen besser, man weiss nicht wieso.
Entschieden ist noch nichts. Trotzdem gibt es schon sehr viel Kritik. Für die Kritiker der Massnahmen ist diese Ausweitung einfach eine versteckte Impfpflicht.
Ich habe bis jetzt einfach keine Alternativen gehört. Was ist die Rolle der Regierung? Wir versuchen, die Schweiz durch diese Krise zu führen und das Leid zu vermindern. Das versuchen wir seit 18 Monaten. Das ist nicht einfach und es gibt auch Fehler. Die muss man korrigieren. Aber wenn man kritisieren will, braucht es auch Alternativen. Es gibt bis jetzt keine. Das heisst, wir haben lieber mit dem Zertifikat eine Situation, in der wir keine Schliessungen mehr brauchen. Das ist schon ein grosser Fortschritt.
Weil viel zu viele Leute noch nicht geimpft sind, droht nach wie vor eine Überlastung des Spitalsystems.
Ist das eigentlich das letzte Mittel, diese Ausweitung der Zertifikatspflicht? Vor zwei Wochen haben Sie geschrieben, strengere Massnahmen seien nicht mehr verhältnismässig.
Eine klare Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung ist geimpft. Wie könnte man für diese Leute Schliessungen oder Einschränkungen noch rechtfertigen? Das geht nicht mehr. Gleichzeitig droht nach wie vor eine Überlastung des Spitalsystems, weil viel zu viele Leute noch nicht geimpft sind. Es ist nicht einfach, da einen guten Weg zu finden.
Das Gespräch führte Gion-Duri Vincenz.