Der Bundesrat hält an den aktuellen Massnahmen vorläufig fest. Gleichzeitig will er bestimmte Gratis-Tests abschaffen und sagt auch: Man nehme nun bewusst höhere Zahlen in Kauf – da sich (fast) alle Impfwilligen hätten impfen lassen können. Wo stehen wir aus Sicht des Bundesrats genau in dieser Pandemie? Alain Berset zumindest hofft auf ein baldiges Ende.
SRF News: Herr Bundesrat, Sie haben mal gesagt, eine Pandemie sei ein Marathon. Bei welchem Kilometer stehen wir in diesem Marathon?
Bundesrat Alain Berset: Ich weiss es nicht. Aber ich hoffe, wir tendieren gegen das Ende. Die heutige Situation ist viel besser als noch vor einem Jahr oder vor sechs Monaten.
Beim Marathon sind die letzten fünf bis zehn Kilometer jeweils die schwierigsten.
Ich hoffe, dass die schwierigsten hinter uns sind. Das Schwierigste für mich war Anfang Jahr diese Situation mit den Schliessungen – jetzt bleiben zwar noch einige Massnahmen, aber nur wenige, und ich hoffe, dass wir damit gut durch den Herbst kommen, wenn sich genügend Personen impfen lassen.
Sie haben am Sonntag in der Sonntagszeitung gesagt: «Wenn es gut läuft, sind in wenigen Wochen weitere Lockerungen wie zum Beispiel eine Einschränkung der Maskenpflicht möglich.» Das ist jetzt aber vom Tisch?
Das war nie für heute vorgesehen…
Das Ziel des Bundesrats ist es, nie mehr zu Einschränkungen und Schliessungen zu kommen.
… aber in wenigen Wochen.
Wir haben immer klar gesagt: Am 11. August gibt es weder Verschärfungen noch Lockerungen. Wir haben eine Situation mit steigenden Fallzahlen, da müssen wir aufpassen. Aber klar: wenn es gut geht, werden wir lockern können. Wenn es schlecht läuft, dann müssen wir aufpassen. Das Ziel des Bundesrats ist es, nie mehr zu Einschränkungen und Schliessungen zu kommen. Wenn sich genügend Leute impfen lassen, sind wir sicher auf einem guten Weg.
Sie haben immer gesagt: Es geht nicht, dass es immer noch Einschränkungen für die Geimpften gibt, wenn sich eigentlich alle Leute impfen lassen können. Aber genau da sind wir jetzt!
Seien wir doch ehrlich: Woher kommen wir? Die Restaurants waren zu, die Kinos und Theater waren zu, die Fitnesscenter waren zu. Es war verboten, sich mit mehr als fünf Leuten zu Hause zu treffen. Das ist die Vergangenheit. Wo sind wir heute? Alles ist erlaubt, ausser dass man im ÖV und in gewissen Innenräumen eine Maske tragen muss, und bei Grossveranstaltungen muss man entweder geimpft oder getestet oder genesen sein.
Bei privaten Veranstaltungen haben wir immer noch die Beschränkung auf 30 Leute drinnen und 50 Leute draussen, bei Veranstaltungen drinnen haben wir eine Obergrenze von 250 Personen. Wir haben immer noch Beschränkungen!
Darüber kann man diskutieren. Aber interessanterweise hat mich in den letzten drei Monaten niemand auf diese Einschränkungen angesprochen. Offenbar sind die nicht so problematisch. Wir dürfen wirklich nicht vergessen, woher wir kommen. Abgesehen von Maskenpflicht in ÖV und Innenräumen und Covid-Zertifikat bei Grossveranstaltungen sind fast sämtliche Massnahmen weg.
Es gibt einen Moment, wo es nicht mehr angemessen ist, dass die ganze Bevölkerung dafür bezahlt.
Sie haben heute angekündigt, dass die Tests nicht mehr gratis sein sollen. Erhoffen Sie sich dadurch, dass sich mehr Leute impfen lassen?
Die Diskussion im Bundesrat war eine andere: Wie lange ist es korrekt, dass die Gesamtbevölkerung die Kosten übernimmt für Leute, die sich jede Woche testen lassen wollen. Man ist da rasch bei Kosten von 500 bis 800 Franken für die Gesellschaft. Und es gibt einen Moment, wo es nicht mehr angemessen ist, dass die ganze Bevölkerung dafür bezahlt. Es ist kein definitiver Entscheid, es gibt jetzt eine Vernehmlassung, und es bleibt ja auch genug Zeit, sich bis dann impfen zu lassen.
Ich hatte heute das Gefühl, dass Sie sich geärgert haben über die vielen Leute, die sich noch nicht impfen lassen – trotz der guten Argumente.
Die Impfung ist freiwillig. Es war immer das Ziel des Bundesrats, dass die Leute eine Wahlmöglichkeit haben. Wer sich nicht impfen lässt, nimmt in Kauf, angesteckt zu werden. Wir wissen, dass die möglichen Folgen einer Ansteckung viel schlimmer sind als die möglichen Nebenwirkungen einer Impfung. Also: Es ist ein grosser Vorteil, sich impfen zu lassen. Der Bundesrat wird sich jetzt vor allem auf die Belastung des Gesundheitswesens konzentrieren. Wir nehmen in Kauf, dass die Zahlen steigen werden.
Wir wollen keine grossen Einschränkungen mehr
Das heisst: Es wird unter den Ungeimpften auch mehr Krankheitsfälle und mehr Tote geben.
Ja. Wir wollen keine grossen Einschränkungen mehr, weil die Leute jetzt alle die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.